Bild: Claudia Link, UBS

Auf der einen Seite steigt die Lebenserwartung in der Schweiz weiter, auf der anderen Seite bewegt sich die Geburtenrate seit 40 Jahren auf einem so tiefen Niveau, dass ohne Einwanderung die Bevölkerung mit jeder Generation um ein Drittel schrumpfen würde. Das verlangt nach weitreichenden, neuen Ideen für die drei Säulen der Altersvorsorge, bei deren Einführung die demografische Situation noch ganz anders aussah als heute. Unter dem Titel «Lösungsansätze zur Sicherung der Altersvorsorge» diskutierte am UBS Center for Economics in Society ein Expertenpanel, zu dem auch ich als Ökonomin und Vorsorgeexpertin eingeladen war.

AHV: Erhöhung des Rentenalters ist nötig

Auch wenn Professorin Monika Bütler, Jérôme Cosandey und ich unter der Leitung von Professor Florian Scheuer viele Themen kontrovers diskutierten, so waren wir uns bezüglich der Frage des Rentenalters in der AHV einig: Die Angleichung der Altersgrenzen ist demografisch notwendig und das Rentenalter sollte zusätzlich für alle Geschlechter erhöht werden. Am besten durch eine Anknüpfung an die durchschnittliche Lebenserwartung.

Jérôme Cosandey, Directeur romand von Avenir Suisse, hielt fest: «Die Erhöhung des Rentenalters um ein Jahr bringt eine jährliche Einsparung in der Höhe von rund 3 Milliarden Franken.» Zu diskutieren bleibt, mit welchen Anreizen der generellen Erhöhung politisch zum Durchbruch verholfen werden kann.

Die Erhöhung des Rentenalters um ein Jahr bringt eine jährliche Einsparung in der Höhe von rund 3 Milliarden Franken.
Dr. Jérôme Cosandey

Wir haben in der Schweiz eine der längsten Pensionsdauern der Welt. Mein Votum hierzu: «Heute arbeiten wir für jedes Jahr Rentenbezug nur noch 1,8 Jahre, bei der Einführung der AHV 1948 waren es hingegen 3,4 Jahre – fast doppelt so viel.» Der Grund dafür ist, dass Personen, die heute das Rentenalter erreichen, im Schnitt während 24 Jahren Rente beziehen werden – im Vergleich zu 13 Jahren im Jahr 1948.

Einig waren wir uns in der Runde auch dahingehend, dass die körperliche Belastung über die gesamte Arbeitszeit nicht in allen Berufen gleich ist und daher individuelle Modelle in den betroffenen Branchen angebracht wären. Solche Branchenlösungen müssten allerdings für die Allgemeinheit kostenneutral sein, denn schliesslich würden die Branchen und somit Privatunternehmen vom körperlichen Einsatz der Angestellten profitieren, und nur so sind auch Anreize für die Unternehmen vorhanden, die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden stetig zu verbessern.

Neben der Finanzierung in der Altersvorsorge stellt meiner Auffassung nach auch die Situation der Mütter respektive der Väter, welche den Hauptanteil der Erziehung übernehmen, eine Herausforderung dar. Ihre Leistungen während der Erziehungsphase kommen aus finanzieller Sicht nur dem Staat zugute. Denn die Kinder finanzieren die AHV, die Gesundheitsversorgung und die generellen Staatsausgaben in Zukunft. Mit einer staatlich finanzierten Kinderbetreuung würden Mütter sowohl die staatlichen Strukturen durch höhere Erwerbssteuern und durch ihre Kinder «speisen» und sich gleichzeitig eigenverantwortlich in der 2. und der 3. Säule für das Alter absichern können.

Aufs Tapet kam im Rahmen der Diskussion die Idee, das einheitliche Rentenalter komplett abzuschaffen, doch hätte eine vertiefte Diskussion den Rahmen des Podiums gesprengt. Das Argument von Ökonomin Monika Bütler bildete daher zu diesem Thema den vorläufigen Schlusspunkt: «Die Festsetzung des Rentenalters hat eine enorme Ankerfunktion. Diese ist sogar wichtiger als die finanzielle Ausgestaltung.» Ein gesellschaftlich anerkanntes Rentenalter gebe sowohl den Angestellten wie auch den Arbeitgebenden Orientierung, so wüssten alle, wie lange man in der Regel arbeiten müsse.

2. Säule: Freie Pensionskassenwahl für individuelle Lösungen?

Eingespielte Kurzinterviews mit drei Politikerinnen und Politiker der Parteien Die Mitte, GLP und FDP bildeten für jeden Diskussionsblock die Basis. Doch was für die Politik kontrovers ist, muss es nicht für uns als Fachleute sein: So ist für uns die Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule ein nötiger nächster Schritt. Politisch heute wohl eher ein reines Gedankenspiel, für uns hingegen hoch spannend ist die Frage, ob Angestellte künftig die Pensionskasse frei sollten wählen können.

Eine Wahlmöglichkeit bringt zwar hinsichtlich der Finanzierung weder Vor- noch Nachteile, doch laut Jérôme Cosandey leuchtet heute vielen nicht mehr ein, weshalb nur die Unternehmensleitung entscheidet, obwohl in den Pensionskassen meist der grösste Teil des Vermögens des Angestellten liegt.

Monika Bütler zeigte sich skeptisch bezüglich der Öffnung im obligatorischen Bereich: «Wir haben die freie Wahl bei der Krankenkasse. Wenn ich dort einen Fehler mache, habe ich nichts verloren. Wenn ich nach fünf Jahren hingegen merke, dass meine Pensionskasse Fehler gemacht hat, dann habe ich ein grosses Problem.»

Für mich bietet eine freie Wahl durchaus Chancen, denn das aktuelle System mit zentralisierten Entscheidungen ist ganzen Generationen nicht gerecht geworden. Dieser Umstand relativiert meiner Meinung nach das Risiko individueller Entscheidungen. Um Herausforderungen des aktuellen Systems mit mehr Wettbewerb unter den Anbietern beheben zu können, sollten wir die Anspar- von der Auszahlphase trennen, was sehr viele Länder machen, die eine freie Pensionskassenwahl kennen. So kann man für beide Phasen den passenden Anbieter wählen. Eine separate Lösung für die Auszahlphase würde es auch erlauben, Personen mit einer tieferen Lebenserwartung eine höhere jährliche Rente auszuschütten.

Das heutige System kreiert in dieser Hinsicht Ungerechtigkeiten. Denn Personen mit tieferer Lebenserwartung, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund körperlich anspruchsvoller Arbeit, subventionieren die Wohlhabenderen, die in der Regel eine längere Lebenserwartung aufweisen.

Vielfach besteht die Meinung, Vater Staat löse das Problem schon. Nur stimmt das schon längst nicht mehr.
Dr. Veronica Weisser

Die Gefahr der Überforderung der Individuen mit der freien Pensionskassenwahl stuft Cosandey als gering ein: «Das System ist heute so komplex, weil es ein B2B-Geschäft ist. In einem freien Markt würde man die Komplexität massiv reduzieren.» Zudem würden wir laufend Entscheide mit grosser finanzieller Tragweite fällen – Jérôme Cosandey nannte Kinder zeugen, Heirat und Scheidung sowie Hauskauf als Beispiele dafür. Eine Argumentationslinie, der ich mich anschliesse: «Wenn man Verantwortung übernehmen muss, beschäftigt man sich vermehrt mit seinen eigenen Finanzen. Ich stelle auch in meinem persönlichen Umfeld teilweise wenig Interesse am Thema Vorsorge fest. Vielfach besteht die Meinung, Vater Staat löse das Problem schon. Nur stimmt das schon längst nicht mehr.»

3. Säule: nachträgliche Einzahlung überfällig

Bei der Diskussion um die 3. Säule sind für uns die Fragen zentral, wie viel jede Person aus Eigenverantwortung sparen soll und ob es Situationen gibt, in denen man nicht genug auf die Seite legen kann. Meine Antwort auf die letztgenannte Frage: «In Familien mit Kindern gibt es sicher Lebensabschnitte, in denen sie den jährlichen Maximalbetrag der Säule 3a nicht ausschöpfen können. Die vom Parlament angenommene Motion Ettlin, die nachträgliche Einzahlungen ermöglichen will, zielt für mich daher genau in die richtige Richtung.» Eine weitere Option wäre, die dritte Säule bereits für Kinder zu öffnen – mit Steuererleichterungen für die Eltern und der Möglichkeit, das Geld auch für die Ausbildung einzusetzen. Wenn die Eltern das ihren Kindern erklären und diese bei der Ausbildung bereits profitieren, würde sich die Gewohnheit, finanziell Verantwortung zu tragen, schon in einem jüngeren Alter als bislang etablieren.

Für Einzelunternehmen ist die 3. Säule enorm wichtig, denn sie verfügen ja nicht über eine Pensionskasse.
Prof. Monika Bütler

Monika Bütler plädierte dafür, die 3. Säule für Selbstständige zu stärken: «Für Einzelunternehmen ist die 3. Säule enorm wichtig, denn sie verfügen ja nicht über eine Pensionskasse.»

Die angeregte Diskussion hat mich weiter in meiner Meinung bestärkt. Reformen in der Altersvorsorge sind notwendig. Wir müssen als Gesellschaft – und als Einzelpersonen im Rahmen von Volksabstimmungen – in naher Zukunft Entscheide fällen, die unangenehm sind. Ein höheres Rentenalter und ein tieferer, gesetzlicher Umwandlungssatz sind nur zwei Beispiele. Falls wir diese Entscheide nicht zeitnah fällen, laufen wir Gefahr, unser an sich gutes Vorsorgesystem nachhaltig zu schädigen. Das zu vermeiden, ist unsere gemeinsame Verantwortung, und auch unsere grosse Chance.

Das Podium zur Sicherung der Altersvorsorge in voller Länge

Wollen Sie sich kompetent einbringen können in Diskussionen über die Altersvorsorge? Machen Sie sich mit den Ideen der Expertinnen und Experten am Podium des UBS Center for Economics in Society vertraut und schauen Sie sich die Diskussion in voller Länge an. Sie finden dort zudem mit der Aufzeichnung des Gesprächs «Das Gesundheitswesen zwischen Ethik und Bezahlbarkeit» eine weitere gesellschaftspolitisch relevante Debatte.