Chopard: Das Resultat kluger Nachfolgeplanung

Monsieur Chopard nahm das Telefon nicht ab. Wochenlang nicht. Dabei hatte es der Pforzheimer Entrepreneur Karl Scheufele immer wieder versucht – er wollte Paul-André Chopard in Genf unbedingt sprechen. Der Grund: Karl Scheufele hatte einen Plan, eine Vision vielmehr, und dabei spielte die Maison Chopard eine wichtige Rolle.

Karl Scheufele hatte sich 1963 in den Kopf gesetzt, eine Uhrenfirma in der Schweiz zu erwerben. Es wäre ein Weg, so hatte er erkannt, mit seinem Unternehmen einen entscheidenden Schritt weiterzukommen. Sternenklar war für den Patron aus dem Schwarzwald, dass es eine Genfer Uhrenmarke sein musste. Und auf seiner Wunschliste stand neben ein paar anderen Marken der Name Chopard – ein kleines Traditionsunternehmen, das zu jener Zeit vier Uhrmacher beschäftigte.

Doch alles Traktieren der Telefonwählscheibe nützte nichts. Bei Monsieur Chopard läutete das Telefon ins Leere. Im VW Käfer fuhr Karl Scheufele schliesslich mit seinem Schwiegervater nach Genf. Und besuchte diejenigen Unternehmen, die er vorher telefonisch hatte kontaktieren können. Am Tag der Rückreise, einem Sonntag, versuchte er es auf gut Glück erneut. Von einer Telefonzelle aus wählte er die Nummer. Und diesmal nahm Monsieur Chopard ab. Am Sonntag reparierte er nämlich keine Uhren und hatte Zeit zum Telefonieren.

Familie Scheufele

Fast 60 Jahre später sitzen die Geschwister Karl-Friedrich und Caroline Scheufele am Genfer Hauptsitz des mittlerweile weltumspannenden Unternehmens Chopard im Salon. Und erzählen die Geschichte mit ihrem Vater. Längst haben sie die Führung übernommen. Als Co-Präsidenten leiten sie das Unternehmen mit inzwischen weltweit 2000 Mitarbeitern – Caroline Scheufele verantwortet den Bereich Schmuck, Karl-Friedrich Scheufele betreut die Uhrensparte.

Dass die Geschwister die Gründungsgeschichte bis ins letzte Detail kennen, hat mit den Gepflogenheiten der Familie zu tun. Spielerisch wurden sie von Kindheit an ins Unternehmen einbezogen. Sie sassen dabei, wenn Geschäftspartner an den häuslichen Tisch geladen wurden, rollten im Betrieb fröhlich auf dem väterlichen Bürostuhl durch lange Gänge und durften auch mal einen funkelnden Diamanten in die Hand nehmen. Haus und Firma gehörten bei Scheufeles auf eine natürliche Art und Weise zusammen.

Was seinerzeit niemand wissen konnte: Mit der Übernahme von Chopard nahm nicht nur die Geschichte der Familie Scheufele und der Genfer Marke ihren Anfang. Sie bildete, zunächst ganz dezent, gleichzeitig den Auftakt zur Geschichte einer erfolgreichen Nachfolgeregelung.

Denn nach und nach wurden die Kinder in die Verantwortung einbezogen. Und schon in ganz jungen Jahren brachten sie Ideen ein, welche die Eltern zwar manchmal nicht auf Anhieb überzeugen konnten, für die sie sich aber begeistern liessen. Es waren zum Teil Ideen, die sich später für das Unternehmen als Glücksfall herausstellen sollten.

Uhren polieren und Koffer tragen

Karl-Friedrich Scheufele war 16 Jahre alt, als er seinen Vater Karl auf einer Geschäftsreise nach Wien begleiten durfte. Dort konnte er beobachten, wie der Patron Geschäftsgespräche führte. Und die Bestellungen aufschreiben. Zu seinen Pflichten gehörte auch das Tragen der Koffer. Ebenso wie das Polieren der Uhren am Abend, damit sie tags darauf wieder in bestem Licht erstrahlen würden. Ähnliche Erfahrungen machte die jüngere Schwester Caroline. «Wir durften oft dorthin mit, wo es interessant war», erzählt sie – zum Beispiel an die Basler Uhrenmesse. Der Stand von Chopard war noch vergleichsweise winzig, und alle mussten mit Hand anlegen.

Chopard Manufacture

Eines Tages hatte Karl-Friedrich Scheufele eine Idee. Man müsste doch, so der Vorschlag an seinen Vater, eine Sportuhr anbieten, eine Uhr im Stahlgehäuse. «Aber Chopard hat noch nie Stahluhren gefertigt», gab der Vater zu bedenken. «Und überhaupt, wasserdichte Uhren und Sportuhren, das ist doch nicht wirklich unser Ding.»

Karl-Friedrich Scheufele, der heute am Tisch vor einer grossen Louis-Berthoud-Standuhr sitzt, hält beim Erzählen kurz inne. Und bemerkt dann trocken: «Wir haben ihn schliesslich überzeugt.»

Das Wort «wir» im Satz kommt nicht von ungefähr: Die Geschwister, die sich übrigens nach wie vor ein Büro teilen, hielten schon damals zusammen. «Caroline hat mich unterstützt», betont Scheufele. Und so durften die Geschwister die Sportuhr massgeblich mitgestalten. 1980, Karl-Friedrich war gerade 21 Jahre alt, wurde sie an der Basler Uhrenmesse vorgestellt. «St. Moritz» hiess die Uhr, die ein Erfolgsmodell wurde.

Wir durften oft dorthin mit, wo es interessant war.
Caroline Scheufele

Ähnlich erging es Caroline Scheufele. Schon mit 16 Jahren kreierte sie ihr erstes Schmuckstück – den Happy-Diamonds-Clown – in Anlehnung an die Happy-Diamonds-Uhren mit beweglichen Diamanten. Der Name der Kollektion stammt von Mutter Karin Scheufele. Der Vater liess den Happy Clown als Weihnachtsüberraschung dann in echt realisieren. Einige Jahre später, 1985, zum 125. Firmenjubiläum, fiel mit diesem Clown der Startschuss für die Lancierung der ersten Schmuckkollektion im Hause Chopard.

Es war auch der Startschuss für einen Geschäftszweig, der sich inzwischen zu einer tragenden Säule des Unternehmens entwickelt hat. Denn Schmuck, mit Ausnahme einiger Accessoires wie Manschettenknöpfen, gab es bei Chopard damals noch nicht. Heute erzielt diese Sparte etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes.

Wichtige Präzisierung: Die Kinder konnten ihre Eltern zwar sehr wohl von einer Idee überzeugen, waren allerdings zugleich gefordert, sich entsprechend dafür einzusetzen. «Man musste schon mit Argumenten aufwarten, die Idee verteidigen und schliesslich Resultate präsentieren», blickt Karl-Friedrich Scheufele zurück. «Dann klappte es.»

Innovationen der Scheufeles

Kreatives Team: Caroline Scheufele (links) mit Julianne Moore im Haute Joaillerie-Atelier in Genf.
Caroline Scheufele 
war 16, als sie den Happy Diamonds-Clown entwarf, der 1985 den Startschuss für die erste Schmuckkollektion gab.

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Chopard-Uhrmacher bei der Arbeit. Vor vielen anderen setzte Karl-Friedrich Scheufele auf eigene Manufakturwerke. Mit Ferdinand Berthoud gründete er überdies eine exquisite Marke im Haute-Horlogerie-Bereich.

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Auf Initiative von Caroline Scheufele hat Chopard als Pionier auf Fairmined Gold gesetzt und verwendet seit Juli 2018 ausschliesslich ethisch einwandfreies Gold. Chopard erreicht dies durch den Aufbau langfristiger Partnerschaften im Kleinbergbau. Für Transparenz von der Mine zur Manufaktur setzen Scheufeles für die Überwachung der Prozesse auf Nichtregierungsorganisationen.

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Die Chopard St. Moritz – die erste Uhrenkreation von Karl-Friedrich Scheufele. 1980, wurde die Uhr anlässlich der Basler Uhrenmesse vorgestellt – Karl-Friedrich war damals gerade 21 Jahre alt.

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Ein weiterer bedeutender Anstoss zum Wachstum kam von Caroline Scheufele. «Wir brauchen eigene Boutiquen», meinte sie lange bevor die Branche zwecks Margenoptimierung auf eigene Boutiquen setzte. Und so geschah es: Heute hat das Unternehmen 60 eigene Boutiquen. Dazu ebenso viele im Franchise-Betrieb.

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Umgekehrt ist heute die Einmischung der Eltern sehr wohl erwünscht und findet auch statt. Mutter Karin, so urteilt etwa Karl-Friedrich, sei noch immer eine begnadete Controllerin – die beste, die er kenne. Ständig entdecke sie neue Schwachstellen bei Prozessen, auf die sonst niemand gekommen sei. Nach wie vor sind die Eltern täglich in der Firma. Und essen, wie auch Karl-Friedrich und Caroline, mit dem Personal im Betriebsrestaurant.

Meinungsverschiedenheiten lösen die Geschwister übrigens «demokratisch», wie sie sagen. Dann kämen eben die Eltern zum Zug. Sie übten bei Bedarf auch mal eine schlichtende Funktion aus. Nötig, man ahnt es, ist es indes kaum. Für den Fall der Fälle stünden die üblichen Governance-Instrumente zur Verfügung: Familiencharta, Familienrat, sachdienliche Verträge. Aber sie schlummern ungenutzt in der Schublade.

Caroline Scheufele

Pioniermarke für Fairmined Gold

Munter wuchs das Unternehmen und entwickelte sich zum Global Player. «Am Anfang», berichtet Karl-Friedrich Scheufele, «war es ein reiner Produktionsbetrieb, der keinen eigenen Vertrieb hatte, sondern direkt mit Juwelieren arbeitete.» Irgendwann entstand dann die erste Niederlassung in Frankreich, 1976 die Vertretung in den USA, und so ging es weiter. Es sei eine Art natürliche Entwicklung gewesen, dass er, Karl-Friedrich, dafür zuständig wurde. Heute hat Chopard 15 Niederlassungen.

Ein weiterer bedeutender Anstoss zum Wachstum kam von Caroline Scheufele. «Wir brauchen eigene Boutiquen», meinte sie lange bevor die Branche zwecks Margenoptimierung auf eigene Boutiquen setzte. Und so geschah es: Heute hat das Unternehmen 60 eigene Boutiquen. Dazu ebenso viele im Franchise-Betrieb.

Kein Wunder, guckt mancher neidisch – Scheufeles haben immer wieder Trends lange vor den anderen gespürt und umgesetzt. Das geschah allerdings stets aus Überzeugung, als etwa Karl-Friedrich für seine Uhren auf eigene Manufakturwerke setzte. Oder als er vor wenigen Jahren beschloss, eine kleine und exquisite High-End-Marke unter dem traditionsreichen Namen Ferdinand Berthoud zu gründen. Das war für ihn eine Herzensangelegenheit – aber die, so meint er, müsse auch in einem harten Business Platz haben, «denn schliesslich verkaufen wir Emotionen». Und überdies habe sich manche Herzensangelegenheit im Nachhinein als kluge Investition erwiesen.

Herzensangelegenheiten müssen auch im harten Business Platz haben.
Karl-Friedrich Scheufele

Gold ist ein Beispiel dafür. Auf Initiative von Caroline Scheufele hat Chopard als Pionier auf Fairmined Gold gesetzt und verwendet seit Juli 2018 ausschliesslich ethisch einwandfreies Gold. Begonnen hatte dieses Kapitel 2013 am Filmfestival von Cannes, wo sich Chopard stark engagiert.

«Woher kommt eigentlich euer Gold?», fragte Livia Firth, Ehefrau von Schauspieler Colin Firth und Gründerin der Firma Eco-Age. «Ich weiss es nicht genau», räumte Caroline ein. Und zu ihrem Bruder sagte sie wenig später: «Wir müssen da irgendetwas tun.» Für die Firma war es ein «ziemliches Change-Management». Zupass kam dem Führungsduo, dass schon der Vater – etwa für Gehäuse – auf Inhouse-Produktion bestanden hatte und 1978 sogar eine eigene Goldschmelze einrichten liess. Ohne diese, vermutlich die erste ihrer Art in der Branche, hätte man nicht umstellen können, weil nur damit jeder Schritt im Haus kontrolliert und zertifiziert werden kann. Von der Mine zur Manufaktur setzen Scheufeles für die Überwachung der Prozesse auf Nichtregierungsorganisationen.

der Familie Scheufele

Die nächste Generation

Die zwei Co-Präsidenten sehen es gerne, dass der Nachwuchs dereinst das Ruder übernimmt. Aber die Kinder müssten es auch wirklich wollen. Und sich zuerst dafür qualifizieren. Denn heute seien die Anforderungen gross.

Und wenn die Kinder nicht wollen? Dann dürfe es auf keinen Fall ein Technokrat sein, der Nachfolger werde, auch nicht jemand, der nur via Storytelling verkaufen wolle. Gefragt wäre eine Person mit einem Bezug zum Produkt. «Denn mit dem Produkt», so Karl-Friedrich Scheufele, «fängt alles an.»

Glücklicherweise jedoch interessieren sich die drei Kinder der jüngsten Generation für Uhren und Schmuck. Das gilt insbesondere für Scheufeles Sohn. «Eine Zeit lang war ich etwas beunruhigt, weil er gar keine Uhr tragen wollte. Doch plötzlich hat er die Uhren entdeckt und redet gewissermassen nur noch davon.»

Was, wenn sich die Geschichte wiederholt? Wenn der Sohnemann plötzlich mit einer Produktidee daherkommt, die dem Papa nicht auf Anhieb gefällt? Der Fall sei bereits eingetreten, schmunzelt Scheufele. Doch darüber könne man derzeit wirklich noch gar nichts verraten.

Mit dem Produkt fängt alles an.
Karl-Friedrich Scheufele

Nebenbei: Zur kohärenten Politik des Hauses passt, dass man seit jeher auf die gleiche Hausbank baut. Mit UBS sei man zufrieden, die Begleitung – etwa im Hinblick auf das Management der Goldressourcen – funktioniere sehr gut. In Sachen Bank halten sich Caroline und Karl-Friedrich Scheufele ohnehin an den Rat ihrer Eltern: gute Beziehungen aufrechtzuerhalten.

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