Die 2. Säule (berufliche Vorsorge, BV) ist ein Zwangssparen mit dem Ziel, einen Teil des Erwerbseinkommens für den Ruhestand auf die Seite zu legen. Sie soll zusammen mit der 1. Säule (AHV) im Durchschnitt 60 Prozent des letzten Lohns ersetzen, um das Verfassungsziel eines angemessenen Lebensstandards im Alter zu ermöglichen. Laut dem Grundgedanken des Systems wird die Leistung der AHV im Umlageverfahren finanziert und die der BV im Kapitaldeckungsverfahren. Letzteres funktioniert dann reibungslos, wenn es frei von systemfremder Umverteilung ist. Also wenn die persönliche Rente aus den individuellen Einzahlungen und Erträgen finanziert und der Umwandlungssatz (UWS) basierend auf einer realistischen Lebenserwartung und Zinsgarantie berechnet wird.

Gesetzlicher Umwandlungssatz zu hoch

Das Gesetz schreibt den UWS im BVG-Obligatorium vor, aktuell 6,8 Prozent. «Aufgrund der zugrunde-liegenden Lebenserwartung verlangt dies eine Zinsgarantie von 4,8 Prozent (Abb.1). Das ist viel höher, als realistisch mit angemessenem Risiko erzielt werden kann», sagt Dr. Reto Leibundgut, Partner bei c-alm. Somit findet in der 2. Säule eine systemwidrige Umverteilung statt, indem Kapitalerträge der heutigen Erwerbstätigen für Rentenzahlungen abgezweigt werden.

Eine Reform ist nötig, um das Gesetz mit der Realität in Einklang zu bringen. «Das grundlegende Ziel sollte die Wiederherstellung der Kapitaldeckung sein – individuelles Sparen fürs Alter mit Unterstützung des Arbeitgebers, mit maximierten Ertragschancen durch gemeinsame Risikoträgerschaft», erklärt Dr. Veronica Weisser, Vorsorgeexpertin bei UBS. Die wichtigste Stellschraube ist der UWS im BVG-Obligatorium. Diesen auf 6 Prozent zu senken, scheint mittlerweile auf breite Zustimmung zu stossen. Damit das Verfassungsziel gewahrt bleibt und Personen mit geringem Einkommen besser versichert sein werden, bedarf es zusätzlich einer Veränderung des Sparplans.

Leistungs- und Sparplan anpassen

Ein tieferer UWS führt unter gleichbleibenden Bedingungen zu einer tieferen Rente. Wenn mehr Kapital angespart wird – durch eine längere Beitragszeit oder höhere Beiträge – kann allerdings mehr Altersguthaben angehäuft werden und so das Rentenniveau erhalten bleiben. Um Personen mit tiefem Einkommen besser abzusichern, sind der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle die richtigen Stellschrauben. Da die Reduktion des UWS sofort greift und die rentenverbessernden Massnahmen nur über Zeit wirken, bedarf es Ausgleichsmassnahmen für die betroffenen Übergangsgenerationen.

Ausgleich für reformbedingt benachteiligte Personen

«Jeglicher Ausgleich bedeutet mehr Kosten und somit eine Verlängerung der systemfremden Umverteilung, die von den jüngeren Generationen getragen werden müssen», gibt Jackie Bauer, Ökonomin bei UBS, zu bedenken. Deshalb ist es wichtig, die Ausgleichsmassnahmen zielgerichtet und massvoll zu gestalten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa 95 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen überobligatorisch versichern, sodass die Reform des BVG-Obligatoriums die Versicherten kaum oder gar nicht betreffen dürfte. Denn wer den Schritt ins Überobligatorium in den letzten Jahren gemacht hat, hat eine Reform schon vorweggenommen. Diese Vorsorgeeinrichtungen taten dies bewusst, damit die Versicherten mehr Alterskapital anhäufen, das dann mit einem fairen UWS verrentet werden kann.

Aus diesem Grund sollten Kompensationen auf diejenigen Personen begrenzt sein, die durch eine Reform schlechter gestellt würden, und auch nur in dem Umfang, in dem sie effektiv benachteiligt sind. Eine Kompensation ist dann passgenau und systemtreu, wenn das Anrechnungsprinzip eingehalten und das obligatorisch vorhandene Altersguthaben berücksichtigt wird. Mit einer Kompensation basierend auf diesen beiden Kriterien kann das Altersguthaben jeder Person gezielt so aufgebessert werden, dass trotz tieferem UWS die gleiche Rente resultiert.

Dezentrale Finanzierung des Ausgleichs

Jede Vorsorgeeinrichtung muss Rückstellungen für Pensionierungsverluste bilden und sollte somit in der Lage sein, diese Rückstellungen für Kompensationszahlungen zu nutzen (Abb. 2). Wird die Kompensation zentral über eine Organisation administriert, müssen sich alle Versicherten daran beteiligen, auch diejenigen, deren Vorsorgeeinrichtung die Hausaufgaben schon gemacht haben und die dadurch in der Vergangenheit schon zur Kasse gebeten wurden. Es würde einer Ausweitung der Umverteilung gleichkommen und den administrativen Aufwand erhöhen.

Lieber keine Reform als eine schlechte 

Es braucht keine Reformen um jeden Preis, sondern es braucht eine Reform, die gezielt die Umverteilung begrenzt und gleichzeitig allen eine gute Versicherungsgrundlage heute und in Zukunft bietet. «Die derzeitigen Reformdiskussionen können zu einem stabileren und gerechteren System der beruflichen Altersvorsorge führen. Aber nur, wenn wir damit dem Kapitaldeckungsprinzip wieder näherkommen», erläutert Silvan Gamper, Pensionskassenexperte bei c-alm. Durch einen tieferen UWS würden die Renten zwar niedriger, aber dafür rechnerisch korrekter und finanziell nachhaltiger sein. Sie würden darauf basieren, was wir ansparen und wie lange wir eine Rente beziehen. Eine Senkung auf 6 Prozent ist der mindestens notwendige Schritt (Abb. 3).

Zudem gibt es Massnahmen, die diese Reduktion auffangen können. Um die obligatorischen Leistungen zu erhalten, sollte der Sparbeginn ab dem Alter von 20 Jahren festgelegt werden. Die Beitragssatzstruktur kann entsprechend angepasst werden, die aktuell diskutierten 9/14 Prozent sind akzeptabel und würden die starke Altersprogression brechen. Damit Geringverdiener mehr Altersguthaben anhäufen, sollte die Eintrittsschwelle reduziert und der Koordinationsabzug angepasst werden. Bei letzterem sollte aber eine Obergrenze beibehalten werden, um Besserverdiener nicht zu verteuern. Zuletzt ist bei den Kompensationsmassnahmen Fingerspitzengefühl und Realismus gefragt. Die Vorsorgeeinrichtungen sind in der Lage, dies eigenständig und fair zu gestalten und sollten diesen Spielraum und das Vertrauen auch erhalten. 

Abbildung 1: Umwandlungssatz ist mit Zinsgarantie verbunden

Verhältnis von UWS zu technischem Zins, bei 6,8 Prozent beläuft sich die Zinsgarantie auf 4,8 Prozent

Quellen: c-alm, UBS

Berechnungsgrundlage: BVG 2020, GT 2023, Anwartschaft 60/20/20, Geschlechter gemischt, Anteil Männer 70 Prozent

Abbildung 2: Rückstellungen der Vorsorgeeinrichtungen können Kompensation dezentral finanzieren

Schematische Darstellung der Rückstellungen für Pensionierungsverluste, nach UWS    

Quellen: c-alm, UBS

Abbildung 3: Grundlegende Ziele der BVG-Reform und wie sie erreicht werden können

Quellen: c-alm, UBS

1.   Umverteilung reduzieren:

Obligatorischer UWS auf 6 Prozent (oder tiefer) senken

2.   Obligatorische Leistungen, d.h. die Ersatzquote, bei mindestens 60% erhalten:

Altersgutschriften erhöhen, beispielsweise ab Alter 20 mit Einzahlungen beginnen und Beitragssätze anpassen, beispielsweise auf 9 Prozent für Alter 20 bis 44 und 14 Prozent für Alter 45 bis 65

3.   Tiefe Löhne und Mehrfachbeschäftigte besser versichern:

Koordinationsabzug auf eine für die Wirtschaft verträgliche Art anpassen, beispielsweise prozentual zum Lohn ansetzen mit Obergrenze für höhere Löhne, um zielgerichtet nur die tieferen Einkommen besser zu versichern, oder bei Senkung auf bis zu 50 Prozent des heutigen Niveaus dies schrittweise über mehrere Jahre ansetzen

Eintrittsschwelle reduzieren, beispielsweise auf 17 000 Franken oder prozentual an das Pensum anpassen

4.   Kompensation fair gestalten

Keine weitere unnötige Umverteilung einführen, d.h. nur Personen kompensieren, deren Rente durch die Reform tatsächlich sinkt, und die Kompensation in der Grössenordnung dieses Verlusts ansetzen.

Contacts

Dr. Veronica Weisser
veronica.weisser@ubs.com

Jackie Bauer, CFA
jackie.bauer@ubs.com

James Mazeau, CFA
james.mazeau@ubs.com


Telefon:
+41-44-234 85 00

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