Sind höhere Schulden und höhere Zinsen die neue Normalität?

Im kommenden Jahrzehnt dürften die Schulden weiter steigen, die Volatilität festverzinslicher Anlagen wird voraussichtlich höher sein und wir halten es für unwahrscheinlich, dass die Zinsen und Renditen zu den Tiefstwerten der Pandemiezeit zurückkehren. Wir glauben aber nicht, dass sich die Zinssätze oder Renditen jetzt in einem strukturellen Aufwärtstrend befinden. Aufgrund der Schulden-, Bevölkerungs- und Produktivitätstrends sowie der allmählichen Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Zentralbanken nehmen wir an, dass sich die Zinssätze und Renditen auf einem niedrigeren Niveau als ihrem gegenwärtigen Stand einpendeln werden.

Höhere Schulden sind die neue Normalität

In den USA haben sich die Staatsfinanzen seit der globalen Finanzkrise drastisch verschlechtert. Im Verhältnis zum nominalen BIP hat sich die Staatsverschuldung über diesen Zeitraum verdoppelt und übersteigt jetzt USD 33 Bio.

Die gute Nachricht ist, dass die Staatsschuldenquote der USA im Verhältnis zum BIP seit dem Höhepunkt der Covid-Impulse von 134% Mitte 2020 gesunken ist. Derzeit liegt die Quote unter 120%. Die Sorge über die Verschuldung ist aber eindeutig ein Thema für das nächste Jahrzehnt.

Trotz der historisch niedrigen Arbeitslosenquote ist das Haushaltsdefizit mit rund 6,3% des BIP immer noch sehr hoch. Das deutet darauf hin, dass es sich nicht um ein zyklisches, sondern um ein strukturelles Problem handelt. Die jüngsten langfristigen Prognosen des Congressional Budget Office schätzen, dass allein die Aufwendungen für Zinszahlungen von 2,5% des BIP in 2023 auf 6,7% in 2053 steigen könnten.

Dies ist nicht nur ein Problem der USA. Andere Länder wie Frankreich und Italien haben ebenfalls anhaltend hohe strukturelle Defizite und hohe Schuldenlasten. Daher dürften sie regelmässig von Ratingagenturen und Anleihenmärkten aufs Korn genommen werden. Einige Länder, wie Deutschland, waren zwar in der Vergangenheit eher bereit, Haushaltsreformen durchzuführen. In den meisten anderen Ländern sind signifikante Ausgabenkürzungen jedoch unwahrscheinlich. In Europa wurden die im letzten Jahrzehnt umgesetzten Sparmassnahmen von den Wählern negativ aufgenommen und in der gegenwärtigen dysfunktionalen politischen Situation in den USA ist es schwer vorstellbar, dass der nötige Zusammenhalt für einen solchen Beschluss erreicht wird.

Die Zentralbanken dürften die Renditen unter Kontrolle halten

Da die fiskalpolitische Entscheidungsfindung auf Hindernisse stösst, nehmen wir an, dass die Geldpolitik die Aufgabe übernimmt, für Bedingungen zu sorgen, bei denen die Kosten für den staatlichen Schuldendienst verkraftbar sind. Unter dem Druck der Regierungen könnten die Zentralbanken nachsichtiger sein und eine Inflation über dem Zielwert zulassen, was zur Reduktion des realen Werts der Schulden beiträgt. Es ist auch gut möglich, dass die Zentralbanken ihre Anleihenkaufprogramme wieder aufnehmen, um die Renditen zu senken.

Die japanische Steuerung der Renditekurve ist ein Beispiel dafür, wie dies funktionieren kann. Dem am höchsten verschuldeten Industrieland der Welt ist es gelungen, die Renditen seiner Staatsanleihen nahe bei 0% zu halten, obwohl die Staatsanleihenrenditen in aller Welt gestiegen sind. Der Preis dafür bestand im Falle Japans in einer Abwertung der Währung und einer importierten Inflation.

Japan konnte die Renditen niedrig halten 
Veränderung der Renditen 10-jähriger Staatsanleihen seit den jeweiligen Tiefstwerten von 2020, in Basispunkten

  • 0 bp

    USA

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    Eurozone

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    Japan

Quelle: Bloomberg, UBS, per November 2023

Wir erwarten, dass sich die Zinsen auf niedrigeren Niveaus einpendeln

Da die Zentralbanken unseres Erachtens eingreifen dürften, um die Kreditkosten des Staats langfristig unter Kontrolle zu halten, nehmen wir nicht an, dass die höhere Staatsverschuldung zu höheren Renditen beitragen wird.

Um jedoch die Frage zu verstehen, ob höhere Renditen zur neuen Normalität werden, müssen wir die drei Komponenten langfristiger Anleihenrenditen betrachten: die Inflationserwartungen, die Erwartungen an den realen neutralen Leitzins und die Laufzeitprämie.

Inflationserwartungen. Wenn wir die Inflation über längere Zeiträume betrachten, sind die 2%-Ziele der Zentralbanken ein wichtiger Input. Wir müssen aber auch die implizite Asymmetrie der Festlegung von Inflationszielen einräumen: Die Zentralbanken könnten zulassen, dass die Inflation für gewisse Zeit über den Zielsatz steigt, um eine Zeit der Deflation auszugleichen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie eine Deflation anstreben, um eine Phase mit hoher Inflation auszugleichen. Der politische Druck auf die Zentralbanken zur Lockerung der Geldpolitik könnte im Laufe der Zeit ebenfalls zunehmen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind wir der Ansicht, dass die langfristigen Inflationserwartungen etwas über dem 2%-Ziel liegen dürften. Unsere Prognose für die langfristige US-Inflation lautet auf 2% bis 2,5%.

Reale neutrale Leitzinsen. Man kann sich den realen neutralen Leitzins (R-Stern oder R*) – der Satz, bei dem die Geldpolitik weder restriktiv noch akkommodierend ist – als durchschnittlichen realen Zinssatz über längere Zeiträume vorstellen. Die Höhe von R* kann nicht direkt beobachtet werden. Es wird jedoch allgemein angenommen, dass er aufgrund der steigenden Schuldenhöhe, der Alterung der Bevölkerung und des schwachen Produktivitätswachstums seit 2008 gefallen ist.

Mit Blick auf die künftige Entwicklung tragen die Investitionen in die Rückführung der Fertigung, in die Sicherheit der Lieferketten und in die Energiewende dazu bei, R* in die Höhe zu treiben. Doch unserer Meinung nach sind diese Trends nicht so signifikant wie die Schulden-, Demografie- und Produktivitätstrends, die R* nach unten drücken. Daher glauben wir, dass sich der R* in den USA in den letzten Jahren kaum verändert hat. Die US-Notenbank Fed schätzt ihn auf rund 0,5%. Wir verwenden eine Spanne von 0,5% bis 1%.

Laufzeitprämie. Eine letzte Komponente misst die zusätzliche Rendite, die Anlegerinnen und Anleger fordern, um eine langfristige Anleihe statt einer kurzfristigeren zu halten. In der Vergangenheit forderten die Anleger in der Regel eine Kompensation für das Halten von Anleihen mit einer längeren Zeit bis zur Fälligkeit. Doch im Grossteil des letzten Jahrzehnts lag die Laufzeitprämie nahe bei 0% oder war sogar negativ. Zum Teil war dies auf die quantitative Lockerung zurückzuführen.

Im letzten Jahr hatte das Umschwenken der Fed von einer quantitativen Lockerung zu einer quantitativen Straffung zusammen mit den höheren Emissionen von US-Treasuries zur Folge, dass die Anleger eine höhere Kompensation für das Halten langfristiger Anleihen forderten. Da wir aber damit rechnen, dass die Zentralbanken weiter einschreiten werden, um einen destabilisierenden langfristigen Anstieg der Renditen zu verhindern, glauben wir nicht, dass die Laufzeitprämie in den USA wieder auf das Niveau von 1% bis 3% zurückkehrt, das in den 25 Jahren vor der globalen Finanzkrise zu beobachten war. Unsere Schätzung lautet auf 0,5%.

Aus diesen drei Komponenten können wir eine Spanne von 2,5% bis 3,5% für den nominalen neutralen Leitzins errechnen (Inflationserwartungen plus R*). Wenn wir dazu die Laufzeitprämie addieren, erhalten wir eine mittlere Schätzung für die Gleichgewichtsrendite der 10-jährigen US-Treasuries von 3,5%.

 

 

1997–2007

1997–2007

2010–2020

2010–2020

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

 

Inflationserwartungen

Inflationserwartungen

1997–2007

2% bis 2,5%

2010–2020

1,5% bis 2,5%

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

2% bis 2,5%

 

r*

r*

1997–2007

ca. 1%

2010–2020

ca. 0,5%

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

0,5% bis 1%

 

Laufzeitprämie

Laufzeitprämie

1997–2007

1% bis 3%

2010–2020

< 0%

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

0,5%

 

10-Jahr Anleihenrenditen

10-Jahr Anleihenrenditen

1997–2007

4% bis 7%

2010–2020

1,5% bis 3%

Unsere Schätzungen für das nächste Jahrzehnt

3% bis 4%

* ohne globale Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009

Auswirkungen für Anleger

Aufgrund unserer Einschätzung, dass sich die aktuelle Phase der hohen Zinssätze und Renditen letztlich als vorübergehend erweisen wird, sollten die Anleger Gelegenheiten ergreifen, um sich jetzt attraktive Renditen bei Qualitätsanleihen zu sichern.

 Die höheren Schuldenstände, die grössere Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger periodisch höhere Inflationsraten zuzulassen und die Unsicherheit über das Ausmass der Zentralbank-Interventionen an den Märkten bedeuten unseres Erachtens, dass die Volatilität und die Unterschiede im Fixed-Income-Bereich in den nächsten zehn Jahren höher sein könnten. Dies spricht für ein aktives Management sowohl traditioneller wie auch alternativer Vermögensverwalter.

Versuchen die Zentralbanken, die Realrenditen durch Massnahmen wie eine quantitative Lockerung zu drücken, um die Belastung durch die steigende Staatsschuldenlast verkraftbarer zu machen, würde dies Sachwerten wie Gold, TIPS und Infrastrukturanlagen zugutekommen.


Weitere zentrale Fragen

Weitere Kapitel

Kapitel 1 Das bevorstehende Jahr

Entdecken Sie unsere Szenarien, zentralen Fragen und Prognosen für 2024 und blicken Sie auf das Jahr 2023 zurück.

Kapitel 3 Unsere besten Anlageideen

Erkunden Sie unsere Botschaften im Fokus, um zu erfahren, wie Sie unserer Meinung nach den Wert Ihres Portfolios verbessern können.

Kapitel 4 Ein ausgewogenes Engagement anstreben

Erfahren Sie, wie Anleger ihr Vermögen unserer Meinung nach im kommenden Jahr und Jahrzehnt schützen und vermehren können.

Dieser Bericht wurde von UBS AG, UBS AG London Branch, UBS Switzerland AG, UBS Financial Services Inc. (UBS FS), UBS AG Singapore Branch, UBS AG Hong Kong Branch und UBS SuMi TRUST Wealth Management Co., Ltd.