Theodore W. Schultz

Nobel 1979 | Was ist der ert eines Menschen?

Die Erkenntnisse von Theodore Schultz mögen für unsere modernen Ohren offensichtlich erscheinen. Doch gerade in der Einfachheit liegt die Genialität. Für die reiche Elite in den Städten nahm er sich wenig Zeit. Und da der Grossteil der Menschen auf der Welt in Armut lebt, sollten sich die Ökonomen seiner Meinung nach auf diese konzentrieren.

Schultz wuchs auf einer Farm in den Great Plains auf und musste Kuhfladen verbrennen, um etwas Wärme ins Haus zu bringen. Er beschäftigte sich während seiner gesamten Karriere weiter mit dem Landwirtschaftssektor, obwohl man ihn in Harvard gern in eine prestigeträchtige akademische Position gelockt hätte. Doch bei seinem beruflichen Interesse an der landwirtschaftlichen Bevölkerung ging es ihm nicht nur darum, seinen Wurzeln treu zu bleiben. Er verstand, welch enormen wirtschaftlichen Beitrag die einfache Bevölkerung leisten könnte, wenn diese Menschen die Möglichkeit erhielten, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Theodore W. Schultz

Theodore W. Schultz

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 1979.

Auf einen Blick

Geboren: 1902, Arlington, South Dakota, USA

Gestorben: 1998, Evanston, Illinois, USA

Fachgebiet: Entwicklungsökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Analyse der Bedeutung von Investitionen in das Humankapital für die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere im Agrarsektor

Eigenheiten eines Forschers: Arbeitete am liebsten völlig isoliert, ohne Telefon und andere Menschen um sich herum

Ein «moderner» Franziskaner: Definierte wenig Besitz als einen Begriff von Freiheit

Wann ist eine Gemeinschaft arm?

Bereits in jungen Jahren war sich Schultz bewusst, welchen Wert Bildung hat. Seine eigene Geschichte lehrte ihn, dass dies der einzige Weg aus der Armut ist. Auf seinem zweieinhalb Meilen langen Weg zur Schule und zurück hatte er viel Zeit zum Nachdenken. «Als kleiner Junge erschien mir der Weg unendlich lang», sagte Schultz. «Besonders im Winter, da musste man sich warm anziehen. Es war unheimlich kalt.»

Die Jugend von Schultz war durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geprägt. Für einen Jungen seines Alters war er recht stark und gross gewachsen, sodass er vom Unterricht befreit wurde, um ortsansässigen Familien und Bauern, die von dem Arbeitskräftemangel während des Krieges betroffen waren, auf den Feldern zu helfen. Sein Interesse an den Problemen, die später sein Spezialgebiet werden sollten, wurde bereits früh geweckt.

Wie lässt sich Armut messen?

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Schultz machte sich an die Untersuchung eines wichtigen Bereichs der Wirtschaftswissenschaften, die der gesamten Menschheit zugute kommen sollte. Er konzentrierte sich auf die Erforschung der Agrarökonomie und der Armut und fasste seine Erkenntnisse darüber in seinem Werk «The Economics of Being Poor» zusammen.

«Ich wollte verstehen, warum Menschen arm sind», erklärte Schultz. «Meine ersten Bemühungen galten der Identifizierung der Armen. Damit meine ich nicht den Einzelnen, der arm ist. Ich denke dabei an eine Gemeinschaft, oder wie es an einigen Orten der Fall ist, ein ganzes Land.»

Wie lassen sich arme Bevölkerungsgruppen identifizieren?

Schultz entwickelte drei effektive Methoden, um arme Gemeinschaften zu erkennen. Mithilfe der ersten wird untersucht, welchen Anteil ihres Einkommens die Menschen einer Gemeinschaft für Nahrungsmittel ausgeben. «Beläuft sich der Anteil auf die Hälfte oder mehr, ist dies ein ziemlich sicheres Zeichen, dass sie wirklich arm sind», fügt Schultz hinzu. «Mit diesem Test lassen sich die meisten der armen Bevölkerungsgruppen herausfiltern. Man muss nicht darüber hinausgehen, aber ich habe es getan.»

Der zweite Indikator ist die durchschnittliche Lebenserwartung in einer bestimmten Region. Der wichtigste Faktor aber, so betont er, ist der dritte: das Qualifikations- und Bildungsniveau sowie die Fähigkeiten, über die die Menschen verfügen. «Es gibt so viele Menschen, die nicht einmal ansatzweise lesen und schreiben können», sagt er. «Fünfundsiebzig Prozent des jährlichen Einkommens der Menschen in den Vereinigten Staaten sind der Arbeit einer hochqualifizierten Bevölkerung zuzuschreiben. Genauso verhält es sich in Europa und in Kanada.»

Wie können wir das Wohlergehen von armen Menschen verbessern?

Bevor Schultz sich mit dem Thema befasste, war unter den Intellektuellen die Meinung verbreitet, man müsse sich – um die Wirtschaft voranzubringen – auf den Fortschritt im Industriesektor anstelle der Landwirtschaft konzentrieren. Sie waren der Ansicht, dass die Landwirtschaft ein Symbol der Vergangenheit und nicht der Zukunft sei. «Die meisten armen Menschen auf der Welt aber leben von der Landwirtschaft», entgegnete er. «Wenn wir also die Ökonomie des Agrarsektors kennen würden, dann wüssten wir unheimlich viel über die wirtschaftlichen Aspekte der Armut.»

Als Beispiel nannte er die Menschen in Afrika. «Die Bewohner des unfruchtbaren Gebiets der Sahara, des etwas ertragreicheren Areals an den Hängen des Grossen Afrikanischen Grabens und des sehr fruchtbaren Landes an der Mündung und entlang des Nils – sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind sehr arm.»

«Das Land ist nicht per se ein entscheidender Faktor für Armut – der Faktor Mensch ist es», sagte er. «Investitionen in die Qualität der Bevölkerung kann die wirtschaftlichen Aussichten und das Wohlergehen armer Menschen erheblich verbessern.»

Entwicklung braucht Humankapital

Schultz verwies auf Taiwan und Südkorea, wo die Bildung einen entscheidenden Schritt nach vorn gemacht hat. «Im richtigen Umfeld und durch die Vermittlung höherer Bildung können Menschen plötzlich in sehr kurzer Zeit unheimlich viel lernen,» ergänzte er. «Die Erwerbsbevölkerung wurde dadurch produktiver und beide Länder entwickelten sich zu erfolgreichen Exporteuren. Sie sind in unseren Markt eingetreten. Der Schlüssel dafür war die Schnelligkeit, mit der das Land die Fähigkeiten und die Kenntnisse der Menschen vorangebracht hat.»

Wie können wir das Leben der Menschen auf globaler Ebene verbessern?

In Bezug auf die Frage, was die Lebensqualität der Bevölkerung verbessert, war Schultz felsenfest davon überzeugt, dass Gesundheit und Wohlbefinden mindestens genauso wichtig sind wie Bildungsinitiativen. «Die Verbesserungen im Gesundheitswesen, die sich in der längeren Lebenserwartung der Menschen in vielen Ländern mit niedrigen Einkommen zeigten, waren eindeutig von grundlegender Bedeutung», sagte er. «In Indien stieg im Zeitraum von 1951 bis 1971 die Lebenserwartung bei Geburt für Männer um 43 Prozent und für Frauen um 41 Prozent. Eine längere Lebensdauer stellt einen zusätzlichen Anreiz für bessere Bildung als Investition in das künftige Einkommen dar. Eltern investieren mehr in die Zukunft ihrer Kinder. Eine berufliche Ausbildung wird lohnenswerter. Dies wirkt sich direkt auf die Qualität der Bevölkerung und damit auch auf die Armutsgrenze aus.»

Können die weitere Verknappung von Ressourcen und der Klimawandel durch Intelligenz aufgehalten werden?

Schultz stellte sich gegen die weitläufige Annahme, es müsse festgelegte, für den Anbau von Nahrungsmitteln geeignete Ländereien geben, weil so unmöglich genügend Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung produziert werden könnte.

«Mit steigendem Einkommen entwickeln Eltern eine Präferenz für weniger aber dafür besser gebildete Kinder», sagte er. «Die Geschichte zeigt, dass wir Ressourcen mit zunehmendem Wissen erweitern können.»

Die Zukunft des Menschen ist zeitlich unbegrenzt; unsere Zukunft ist nicht durch Raum, Energie und landwirtschaftliche Nutzflächen vorgegeben. Sie wird durch die Evolution der menschlichen Intelligenz geformt.

Können wir Ressourcen durch Wissen erweitern?

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Zu Besuch bei den ärmsten Gesellschaften der Erde

Um zu verstehen, wie es sich in Armut lebt, unternahm Schultz eine Reise. Dabei tauchte er in die ärmsten Gemeinschaften der Erde ein: Er lebte selbst unter den von ihm studierten Bedingungen und interagierte mit den Bewohnern. In Indien machte Schultz Bekanntschaft mit der Familie Nehru-Gandhi und entwickelte daraufhin eine enge Beziehung zu den modernen Machern Indiens. «Rückblickend empfinde ich eine grosse Wertschätzung für das, was ich im Ausland über das ökonomische Verhalten der Landbevölkerung gelernt habe», sagte er.

«Wir in den Ländern mit hohen Einkommen haben die Weisheit von Alfred Marshall vergessen; der schrieb: Wissen ist der stärkste Produktionsfaktor», zitierte er.

Schultz wäre glücklich zu sehen, dass die Zahl der einkommensschwachen Länder, die seinen Rat befolgt haben und damit nicht nur einen Beitrag auf lokaler oder regionaler Ebene, sondern für die ganze Weltgemeinschaft geleistet haben, in den letzten Jahren gestiegen ist.

Warum sollten Länder bessere Wege finden, um zu wachsen?

Hören Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie Länder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen können.

Was bedeutet die wissenschaftliche Arbeit von Schultz für uns?

«Schultz ist der Ökonom, der ich sein möchte. Schultz war ein Wirtschaftswissenschaftler, der in der realen Welt zu Hause war. Seine Ideen resultierten aus den Gesprächen mit echten Menschen.»

Paul Donovan

Global Chief Economist
UBS Wealth Management

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