Robert F. Engle III

Nobelpreis 2003 | Können wir Finanzkrisen in Zukunft vermeiden?

Kollegen beschreiben Robert Engle als «ersten Ökonometriker der Welt». In seiner 48 Jahre währenden Karriere hat er erfolgreich Modelle entwickelt, um wirtschaftliche Ereignisse wie Finanzkrisen vorherzusagen. Sein Meisterstück, das ARCH-Modell, entstand in den 1980er Jahren und wird noch heute als eine Art Frühwarnsystem für den Finanzbereich genutzt. Neben seinen Errungenschaften in der Ökonomie hat Engle auch ein Händchen für das Zeitmanagement: Trotz eines vollen Terminkalenders hat er es geschafft, als halbprofessioneller Eiskunstläufer den Gipfel des Erfolgs zu erreichen.

Robert F. Engle III

Robert F. Engle III

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 2003

Auf einen Blick

Geboren: 1942, Syracuse, New York, USA

Fachgebiet: Ökonometrie

Ausgezeichnetes Werk: Methoden zur Analyse ökonomischer Zeitreihen mit zeitlich variabler Volatilität (ARCH-Modell)

Süchtig nach: Espresso

Verpasste Chancen: Der Forschungsbereich seiner Abschlussarbeit in Physik erhielt den Nobelpreis im gleichen Jahr wie er für die Wirtschaftswissenschaften

Eislauf-Trophäen: «Zu viele, um sie zu zählen»

Ein Mann mit vielen Talenten

Er schläft ebenso gern in einem Zelt wie in einem Fünf-Sterne-Hotel und ist auch mal beim Eislaufen im verschneiten New York oder beim Kanufahren im sonnigen Kalifornien anzutreffen. Sein Lebenslauf liest sich daher erwartungsgemäss wie ein langes Abenteuer mit einer gesunden Portion Selbstironie. Vielleicht ist auch das der Grund, warum man Robert Fry Engle III. inmitten seiner nicht enden wollenden Erfolgsserie einfach sympathisch finden muss. Seine Familie und seine Freunde schätzen ihn als wahren Kameraden, eine «gut geölte Maschine», einen fokussierten Ökonomen und lieben Familienmenschen. Als er die Tür zu seinem Appartement nahe des Washington Square Parks öffnet, einem dieser typischen Gebäude Manhattans, begrüsst uns der Nobelpreisträger mit einem festen Händedruck und bittet uns herein. Dann erzählt er, wie alles begann.

Als Engle aufwuchs, baute sein Vater eine Art Werkstatt, in der er seinen ältesten Sohn in Naturwissenschaften unterrichtete. Wenn er nicht gerade mit einer seiner zahlreichen Sportmannschaften trainierte oder Tuba, Cello oder Bass spielte, führte er wissenschaftliche Experimente durch.

Schon während seines Studiums bei Nobelpreisträger Hans Bethe, wusste er, dass seine Zukunft nicht im Bereich der Physik liegen würde. Nach seinem Masterabschluss begann Engle daher, Kurse in den Geisteswissenschaften zu belegen.

Mithilfe der Ökonomie Antworten auf die bedeutendsten Fragen finden

Engles wissenschaftliches Studium bildete die Grundlage für seine spätere Arbeit im Bereich der Wirtschaftsforschung, insbesondere auf dem Gebiet der Ökonometrie, die zur Vorhersage von Trends auf mathematische und statistische Analysemethoden zurückgreift, und die Engle mitbegründet hat.

Er schuf Modelle, die nicht nur die Arbeit von Akademikern erleichtern, sondern auch Investoren, Unternehmen und Aufsichtsbehörden unterstützen. Sie liefern Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen und werden aus diesem Grund häufig angewendet, um die Volatilität und die Risiken in den Finanzmärkten einzuschätzen. Wie sieht der Kompromiss zwischen Risiko und Rendite aus? Wie lässt sich im Finanzbereich Geld verdienen, ohne Risiken einzugehen? Wieviel Risiko ist akzeptabel? Wieviel lässt sich mit einem höheren Risiko verdienen?

Sein umfassendstes Werk, das wegweisende ARCH-Modell, findet laut Engle heute «überall im Finanzbereich» Anwendung. Er erklärt, dass es nicht nur als Basis für viele andere, genauere Instrumente diente, sondern für ihn auch der Grund war, der Makroökonomie den Rücken zu kehren und sich stattdessen den Finanzwissenschaften zuzuwenden.

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Wie das ARCH-Modell den Finanzsektor verändert hat

Kann das ARCH-Modell uns helfen, in die Zukunft zu schauen?

Der vollständige Name von Engles Modell ist schon für Experten eine Herausforderung, ganz zu schweigen von den Normalbürgern, die einfach ihre Ersparnisse anlegen wollen. «Tatsächlich lasse ich das in meinen Klassen üben», sagt er und lacht. «Es steht für Auto Regressive Conditional Heteroscedasticity.»

«Ich habe es als Prognoseinstrument entwickelt, um herausfinden zu können, wann die Risiken am grössten sind», fährt er fort. «Man nimmt das Quadrat aller Bewegungen von einem Tag zum nächsten und bildet daraus dann den Durchschnitt – so bekommt man einen Eindruck, wie stark die Veränderungen sind.»

«Allerdings ist das keine wirklich geeignete Methode, um Prognosen zu treffen. Denn das käme der Annahme gleich, dass zukünftige Bewegungen gleichermassen mit den gestrigen Ereignissen und denen von vor zwei Jahren zusammenhängen.»

Das ARCH-Modell war aber nur der Anfang; die Ökonomen konnten damit auch ermitteln, welche Datensätze sich im Laufe eines historischen Zeitraums als am besten erwiesen haben. Engle ging noch einen Schritt weiter und verfeinerte die Instrumente, damit sie noch genauere Ergebnisse lieferten.

Was ist nach einer Finanzkrise zu tun?

Natürlich stellt sich die Frage, warum es überhaupt zu einer Finanzkrise gekommen ist. «Nun», setzt er zu einer Erklärung an, «das Risiko und auch die Volatilität waren vor der Finanzkrise sehr niedrig, aber es handelte sich dabei um kurzfristige Risiken. Viele Leute sahen das und kauften in grossem Stil hypothekenbesicherte Wertpapiere und andere Vermögenswerte. Das hat die Leute in Schwierigkeiten gebracht, weil sie dachten, das Risiko sei gering. Aber das Risiko war nur kurzfristig niedrig.»

Wie lässt sich eine weitere Finanzkrise verhindern?

Wer trägt die Schuld an der Finanzkrise?

Anders als manche seiner Kollegen, sieht Engle die Schuld nicht bei den Bankern. Seiner Ansicht nach wären sie kein so hohes Risiko eingegangen, wenn ihnen das bewusst gewesen wäre. «Die Leute kennen die langfristigen Risiken nicht, sie sehen nur die kurzfristigen Risiken», sagt er. «Wir nennen das Risikokurzsichtigkeit. Wenn das Risiko konstant auf einem Niveau bleibt, dann ist das eine Sache, aber sobald es sich verändert, kann sich alles verschlimmern. Eine Interpretation der Finanzkrise ist daher, dass wir ein besseres Risikomanagement benötigen. Um bessere Entscheidungen zu treffen, weniger Fehler zu machen und solche Ereignisse in Zukunft zu vermeiden.»

Was würde uns eine neue Krise kosten?

Engle kann nur Voraussagen für einen Tag treffen, sein endgültiges Ziel ist jedoch, Risiken für Monate oder sogar ein ganzes Jahr vorhersagen zu können.

Die aktuelle ARCH-Version zeigt an, wieviel Kapital ein bestimmtes Finanzinstitut im Falle einer weiteren Finanzkrise aufbringen müsste. Wieviel würde es also kosten, ein ganzes Bankensystem zu retten, sollte es dazu kommen?

«Heute wären das ungefähr 3,5 Billionen US-Dollar», so Engle. Das ist eine stattliche Zahl, stimmt er zu. Allerdings besteht er darauf, dass sie unter dem Betrag liegt, der in den Jahren 2011 und 2012 hätte aufgebracht werden müssen, als die Staatsschuldenkrise in Europa grassierte, beziehungsweise dem Betrag während der Finanzkrise 2008 und 2009 entspricht. «Das ist dennoch eine stolze Zahl.»

Sollten Staatsschulden zurückgezahlt werden? 

Eine Auszeichnung, die das Leben verändert

Der Nobelpreis hat es Engle ermöglicht, noch mehr zu tun. Dank der damit verknüpften finanziellen Mittel konnte er 2009 das Volatility Institute, oder V-Lab, an der Stern School of Business der New York University ins Leben rufen. Wenn seine Frau Marianne an den Anruf aus Stockholm zurückdenkt, ist sie immer noch zu Tränen gerührt.

Die letzten Worte, die sie zu ihm sagten, waren: «Ihr Leben wird nie wieder so sein wie vorher.» Dann legten sie auf.

«Und Rob sagte zu mir», fährt sie fort: «‹Oh mein Gott, sie sagten, mein Leben wird nie mehr so sein wie davor, was soll ich tun?› Daraufhin sagte ich: «Zieh dir ein anderes Hemd an.» Die Geschichte vermittelt einen guten Einblick, wie die Kommunikation in der Familie Engle ausserhalb der akademischen Welt abläuft – mit viel Humor.

Am Institut und auf dem Campus der New York University dreht sich für Engle alles nur um die Forschung. Wenn er aber nicht im Dienst ist, zeigt sich die andere Seite seiner Persönlichkeit. Marianne, eine Psychologin, ist immer noch überrascht, wenn er auf die Bühne geht, um eine Rede zu halten. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie er das erste Mal an einer Fachveranstaltung teilgenommen hat. «Da kamen einige Fragen aus dem Publikum, und er antwortete auf sehr direkte, energische, ich würde nicht sagen aggressive, aber auf diese bestimmte Art und Weise», sagt sie. «Er strahlt einfach Selbstvertrauen aus.»

«Ich möchte, dass jeder Vortrag, den ich halte, ein guter Vortrag ist», sagt Engle selbst. Mein Ziel ist es, den Menschen etwas mitzugeben, dass sie vorher noch nicht wussten. Wir sind zurück in seinem Arbeitszimmer, wo die für ihn wohl bedeutendste Anerkennung an der Wand direkt neben seinem Schreibtisch hängt. «Das ist ein Baum», erklärt er uns. «Hier ist der Stamm; die Blätter am Baum symbolisieren alle meine Studenten über die vielen Jahre und ihre Doktorgrade; und die Titel ihrer Abschlussarbeiten finden sich hier mitsamt der Jahreszahl.» Dass sie nun ebenfalls Ökonomen sind oder ihre Berufung an der Wall Street gefunden haben, erfüllt ihn mit grossem Stolz. Es ist auch Beweis dafür, dass die Wirtschaftswissenschaften seine grosse Leidenschaft sind, egal was er sonst noch tut.

Wie lassen sich Prognosen verbessern?

Im V-Lab laufen jeden Tag 60 000 ökonometrische Modelle. Sie sammeln Daten von allen Märkten weltweit, um Theorien zu prüfen und zu belegen oder zu untersuchen, wie sich die Volatilität von Zeit zu Zeit verändert. Das alles dient dem Ziel, bessere Risikomessverfahren zu entwickeln. «Er hat die Begabung, etwas so Komplexes wie diese Modelle in eine Sprache zu übersetzen, die jeder versteht», sagt Robert Capellini, Direktor des V-Lab. «Er zieht vor seinen Klassen keine Show ab und spielt den Nobelpreisträger. Er ist immer authentisch.»

Wie lässt sich das Risiko von Finanzinstituten messen?

Engle spricht von einer neuen Art von Risiko, bei der das Risikoniveau zwischen lang- und kurzfristigem Risiko wechseln wird. «Das klingt jetzt erst einmal schwierig, doch wenn das Risiko wirklich konstant bleibt, dann ist das eine Sache, aber sobald es sich verändert, kann sich alles verschlimmern», so Engle. «Und wie viel schlimmer könnte es werden? Wir nutzen Dinge wie Stresstests für Banken, bei denen wir uns ein Szenario ausdenken und schauen, wie es einer Bank unter diesem Szenario erginge. Hätte sie genug Kapital? Man kann die denkbaren Worst-Case-Szenarien für ein Jahr im Voraus simulieren.» Im V-Lab werden diese Prozesse jeden Tag durchgeführt und können auf der Website des Labors verfolgt werden.

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Die Modelle von Rob haben aufgezeigt, wo in der Welt die Risiken liegen,
says Capellini.

Der Mann hinter dem Erfolg

Glücklicherweise kann Engle einen Teil seiner Arbeit an Kollegen und Computer delegieren, denn selbst ein Nobelpreisträger braucht mal eine Pause. Wie entspannt sich also dieser Wirtschaftswissenschaftler? Er liebt es, dem Alltag in der Stadt zu entfliehen und in sein Haus am See in Mahopac zu fahren. Das liegt nur eine Autostunde entfernt, und er kann dort angeln und sich mit seiner Familie entspannen. «Setzen Sie sich und probieren Sie», sagt Marianne und offenbart uns, dass ihr Mann die besten Paninis der Welt macht. Mit jedem Bissen wundern wir uns mehr, wie einer der bedeutendsten Ökonomen unserer Zeit zugleich ein halbprofessioneller Eiskunstläufer und noch dazu ein so spannender, liebenswerter Ehemann und Vater sein kann.

«Man muss sich einfach sagen, dass es kein Kompromiss ist. Dass man dabei nichts aufgibt», sagt er. «Hart arbeiten und das Leben geniessen.»

Das Geheimnis des Erfolgs

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