James J. Heckman

Lösungen für die wirtschaftliche Ungleichheit | UBS Nobel Perspectives

James Heckman versuchte, vielleicht gründlicher und analytischer als je ein anderer Wissenschaftler, die Ursachen für wirtschaftliche Ungleichheit und Abgrenzung zu verstehen. Obwohl er zunächst als Wirtschaftsstatistiker bekannt wurde, weil er eine preisgekrönte Methode für den adäquaten Umgang mit selektiven Stichproben entwickelte, kehrte er bald zu alten Fragen zurück und suchte nach neuen Antworten. Heute gehört er zu den führenden Wirtschaftswissenschaftlern der Gegenwart und arbeitet an den Schnittstellen von Wirtschaft, Psychologie und Biologie, mit dem Ziel, ein tieferes Verständnis für die wesentlichen Probleme der Gesellschaft zu erlangen.

James J. Heckman

James J. Heckman

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften 2000 (gemeinsam mit Daniel McFadden)

Auf einen Blick

Geboren: 1944, Chicago, Illinois, USA

Fachgebiet: Ökonometrie, politische Ökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Entwicklung von Methoden zur Analyse von Stichproben

Die Schönheit der Wissenschaft: An seiner High School in Colorado wurde er von Frank Oppenheimer unterrichtet, nachdem dieser in der McCarthy-Ära seine Stelle an der Universität verloren hatte

Ein toller Vater: Liebt die Oper und besuchte bereits mit seiner Tochter die Bayreuther Festspiele

Das stramme Programm eines Nobelpreisträgers

Sich mit Heckmann zu verabreden, ist gar nicht so leicht. Er ist auf der ganzen Welt unterwegs, um für ein besseres Verständnis der Ausprägungen von Ungleichheit zu sorgen und mögliche Lösungen zu diskutieren. Ihn in Lindau zu erwischen, wo 16 Nobelpreisträger zu einem Treffen mit aufstrebenden jungen Talenten ihrer Disziplin zusammentreffen, ist eine besondere Gelegenheit. Heckmann betritt den Raum mit einem einladenden Lächeln und hört den Menschen zu, die sich um ihn herum unterhalten, dabei trinkt er ab und zu einen Schluss von seinem Kaffee.

Was brauchen Kinder, um im Leben erfolgreich zu sein?

Wodurch wird das Humankapital bestimmt?

Es gibt bestimmte Schlüsselwörter, die Heckmann häufig benutzt, wenn man mit ihm über seine Arbeit spricht. Dazu gehört der Begriff Humankapital, der von Nobelpreisträger Gary Becker geprägt wurde. «Zu den wichtigen Entwicklungen, die in der Verständnisbildung für das Humankapital erreicht wurden, gehört seine Multidimensionalität», erklärt Heckman. «Es geht hier nicht nur um den IQ, nicht nur darum, wie klug man ist, sondern auch wie durchsetzungsfähig und sozial man sich verhält, wie viel Selbstdisziplin man hat.» Als Leiter des Center for the Economics of Human Development an der Chicago University hat Heckmann Messverfahren entwickelt, um das Potenzial von Menschen besser zu verstehen, und dies «auf eine viel umfassendere Art und Weise als durch die reine Betrachtung der PISA-Ergebnisse».

Das Humankapital ist eine entscheidende Komponente für den Erfolg im Leben. Es beinhaltet Qualifikationen, deren Erwerb viel kosten kann – eine gute Bildung oder Ausbildung zum Beispiel – die sich aber langfristig auszahlen. «Das ist wirklich eine Investitionsentscheidung,» erklärt Heckman, eine Investition, mit der man seiner Meinung nach sehr früh im Leben beginnen sollte.

Wie können wir Kindern die Chance geben, sich zu entfalten?

«Kinder, die in ein benachteiligtes Umfeld hineingeboren wurden, haben nicht viele Möglichkeiten», führt Heckman an. «Hier denkt man typischerweise an Erbe oder Kapital, das ist es aber nicht.
Es geht mehr um das Erbe von Humankapital, von Kultur und Werten. Das ist der grosse Unterschied.» Heckman erklärt, dass Kinder Anleitung benötigen, damit sie sich im Leben entfalten können. «Sie brauchen jemandem, der ihnen erlaubt, sich auszuprobieren, der ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht und sie schützt, wenn sie einmal stolpern», sagt er. «Oft fehlt das.»

Der Schaden, der in jungen Jahren entsteht, so Heckman, kann später im Leben nicht mehr gutgemacht werden. Deshalb sei es so wichtig, die Eltern zu involvieren. Man kann ihnen zwar nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben, aber man kann Vorschläge machen, die die Auswahl an Möglichkeiten erweitern, so Heckman.

«Man geht davon aus, dass die Familien funktionieren», sagt er. «Deshalb dreht sich die öffentliche Diskussion in erster Linie um die Ausgaben für Schulen. Aber wenn die Eltern nicht da sind, um den Kindern zu helfen, können wir noch so viel für die Schulen ausgeben, sie werden nicht viel davon mitnehmen.»

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Wie können wir benachteiligten Familien helfen?

Heckman weiss, dass es sich um ein politisch heikles Problem handelt, aber er glaubt, dass es Möglichkeiten gibt, dieses Problem positiv anzugehen, etwa durch die Förderung eines neuen öffentlichen Diskurses über die Ausbildung von Fähigkeiten. Er führte umfassende empirische Untersuchungen durch und kann den Erfolg bestimmter Programme belegen. «Im Wesentlichen müssen wir Interaktionen anregen», erklärt er.

Aktivitäten, die vielleicht einfach klingen, wie die Weiterbildung von Eltern zum Thema Gesundheit, ihnen zu zeigen, wie man den Kindern abends eine Gutenachtgeschichte vorliest oder sie dazu zu ermutigen, gemeinsam mit den Kindern in einem Malbuch zu malen, sind sehr wichtig.

«Im Grunde geht es darum, wie man als Eltern für die Kinder da ist», sagt er. «Sind die Eltern da für die Kinder, so kann das zu richtig guten Ergebnissen führen.»

Eigentlich war es nur ein Zufall, dass Heckman sich mit dem Thema frühkindliche Erziehung auseinandersetzte. «Ich habe in den 1990er Jahren an Berufsbildungsprogrammen mitgearbeitet», erzählt er. «Diese Programme waren so wenig erfolgreich, dass ich mich total entmutigt fühlte. Da wurde mir klar, dass die frühen Jahre der Kindheit wichtig sind.» Was er dann herausfand war, dass Intensivprogramme, die in einem sehr jungen Alter beginnen, langfristig sehr gute Erfolge haben und sich lohnen. Sie führen zu besseren Leistungen in der Schule, geringeren Kriminalitätsraten, höheren Einkommen und einer besseren Gesundheit.

Sie brauchen kein Geld, sondern Fähigkeiten!

Wie verhindert man die Ausbildung sozialer Klassen?

Das ist eines der klarsten Argumente während einer Podiumsdiskussion in Lindau. Geld allein hilft nicht. Heckman führt das Beispiel einer alleinerziehenden Mutter an, die noch keinen Schulabschluss hat. Sie bekommt jeden Monat etwas Geld und bezahlt davon das Nötigste, vielleicht ihr ganzes Leben lang. «Aber wenn wir das Geld stattdessen in eine hochwertige Kinderbetreuung für einkommensschwache oder alleinerziehende Familien wie sie selbst investieren würden, würde die Mutter wirklich davon profitieren. «Nun hätte sie die Gelegenheit, einen Schulabschluss zu machen und sich eine Arbeit zu suchen», führt er an. «Sie wird ein aktiver Teil unserer Gesellschaft. Gleichzeitig bringt das erhebliche Vorteile für das Kind mit sich.»

Heckman betrachtet die Schaffung einer «Sozialhilfeklientel» als eines der grössten Probleme der heutigen westlichen Gesellschaften. «Wenn man den Menschen einfach nur Geld gibt, schafft man dadurch eine soziale Klasse, die vom Rest der Gesellschaft abgetrennt, dabei aber von ihr abhängig ist», sagt er. «Man muss diese Menschen integrieren, sie inkludieren und ihnen die Würde eines Arbeitsplatzes zugestehen.» Ein System, das auf Transferleistungen basiert, wird zudem ein multigenerationales Problem, erklärt der Nobelpreisträger. Die soziale Mobilität aus einem benachteiligten Umfeld heraus ist stark begrenzt. «Den Kindern geht es 20 oder 30 Jahre später auch nicht besser als ihren Eltern.»

Warum nimmt die Ungleichheit in der Gesellschaft zu?

Aktuelle Daten legen nahe, dass die Ungleichheit in den westlichen Gesellschaften in beunruhigendem Masse zunimmt. Heckman beschreibt die Situation in den USA, wo viele Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben und sich als Opfer der veränderten wirtschaftlichen Bedingungen sehen. Er argumentiert, dass sich diese Menschen nicht mehr mit dem gebildeteren Teil der Bevölkerung verbunden fühlen, weil ihre Möglichkeiten strukturell ganz anders liegen, und die beiden Welten von einer klaren Linie getrennt sind. «Die Ungleichheit ist dann nicht mehr nur noch ökonomischer Natur, sondern auch politisch und sozial», sagt er. «Die Würde der Menschen ist gefährdet, sie haben tatsächlich eine Art Verlust erlitten, und ihre Ängste sind mehr als berechtigt.»

Wie kann man sicherstellen, dass kein Arbeiter und keine Arbeiterin im Stich gelassen werden?

Obschon derzeit weniger gebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mittleren Alters in neuen Arbeitsumgebungen nicht sehr produktiv sein werden, sieht Heckman eine Chance, sie zu integrieren. «Wir können ihre Aktivitäten mit einem Zuschlag versehen», erklärt er. «Wir wollen die Leute involvieren und nicht in Ghettos verstecken. Man kann entweder sagen «Du bist ein wertloser Stahlarbeiter, bleib zu Hause, wir schicken dir einen Scheck», oder man sagt «Wir können deine Dienste gebrauchen».» Angesichts der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft ist Heckman der Ansicht, dass das Gefühl eines gemeinsamen Wohlstands nur wiedererlangt werden kann, wenn die Menschen sich engagieren können.

Nehmen die Konflikte, die mit Rassismus zu tun haben, zu?

Zu Beginn seiner Karriere beschäftigte sich Heckman intensiv mit den sogenannten Rassenkonflikten in den USA. «In einem meiner ersten Projekte versuchte ich zu beweisen, dass die in den 1960er Jahren verabschiedeten Bürgerrechtsgesetze in den USA massgeblich dazu beitrugen, dass der Status schwarzer Amerikaner aufgewertet wurde», sagt er. Hier nahm mein lebenslanges Interesse an der Kultur der Afroamerikaner ihren Anfang. Heckman hat das Gefühl, dass der Konflikt an Schärfe zunimmt. «Heute ist es unmöglich, eine ehrliche, faktenbasierte Diskussion über das Thema zu führen.»

«Die ganze Idee hinter einem intellektuellen Leben ist, dass man Ideen austauschen kann, dazu braucht man Gelehrte aller Couleurs», sagt er. «Auch ein Chinese, der gerade in Peking promoviert, könnte eine der besten wissenschaftlichen Arbeiten seiner Zeit über Afroamerikaner schreiben. Es ist eine Frage der Qualität der Argumente, nicht der Qualifikation desjenigen, der argumentiert.» Mittlerweile hält sich Heckman mit Kommentaren zur aktuellen Situation zurück, auch wenn er die getroffenen Massnahmen für unzureichend hält. «Man möchte eine Situation, in der Einzelpersonen das bestmögliche Niveau erreichen können», erklärt er. «Und ich bin mir nicht sicher, ob die Einführung von Quoten und Unterscheidungen, die man aufgrund der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts trifft, zu einem reicheren Umfeld beitragen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Erzwingen eines Ergebnisses und dem Schaffen von Chancen.»

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Gibt es eine einfache Lösung für Probleme, die aus rassistischen Zuschreibungen erwachsen?

Wie viele politische Entscheidungen basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen?

«Ich glaube wirklich, dass wir uns verbessern könnten, aber wir müssen etwas breit gefächerter denken als in der Vergangenheit», sagt er. In Bezug auf die Frage, inwiefern politische Entscheidungen auf den Erkenntnissen beruhen, die er und andere Wissenschaftler liefern, gibt er sich eher pessimistisch. «Der Wert wissenschaftlicher Analyse scheint an Ansehen zu verlieren. Es ist ein kontinuierliches Bemühen, und ich denke, das ist es, worum es in der Wissenschaft geht. Ich fühle mich dafür verantwortlich, gute Arbeit zu leisten, Arbeit, die nicht «quick and dirty» ist, sondern einen bestimmten Wert hat.»

Warum sollten Länder bessere Wege finden, um zu wachsen?

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