James M. Buchanan

Nobelpreis 1986 | Public-Choice-Theorie: Wie viel Freiheit sollten Politikerinnen und Politiker haben?

Hier geht es nicht um James Buchanan, den 15. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern um den Wirtschaftswissenschaftler James Buchanan, dem wir massgeblich die Public-Choice-Theorie zu verdanken haben. Seine Verbindungen zur Politik liegen jedoch auf der Hand. Die Arbeit von Buchanan veränderte die Struktur der politischen Entscheidungsfindung. In seiner Arbeit untersuchte er, wie man die verfassungsrechtlichen Vorgaben anpassen und wie viel Macht den Politikern eingeräumt werden sollte. Auch wenn er sein ganzes Berufsleben lang so etwas wie ein Aussenseiter blieb, veränderte er grundlegend die Art und Weise, wie Wirtschaftswissenschaftler über die Natur politischer Prozesse denken. Buchanan sprach sich häufig für einen verkleinerten Regierungsapparat, geringere Staatsverschuldung und weniger Vorschriften aus.

James M. Buchanan

James M. Buchanan

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften 1986

Auf einen Blick

Geburtsjahr: 1919, Murfreesboro, Tennessee, USA

Sterbejahr: 2013, Blacksburg, Virginia, USA

Forschungsgebiet: Staatsfinanzen

Ausgezeichnetes Werk: Entwickelte die vertraglichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Theorie der wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsfindung

Old School: Schrieb seine Bücher mit der Hand, bevor er eine überarbeitete Version auf seiner Schreibmaschine tippte

Aha-Moment: Bei einem Hotelaufenthalt in Rom mit kaputtem Aufzug und fehlender Klimaanlage wurde ihm klar, dass die vorherrschende Meinung über die Staatsverschuldung völlig falsch war

Leben auf der Farm: Auf seiner Farm in Virginia hielt er 60 Kühe

Welche Rolle spielt das eigene Interesse bei der Entscheidungsfindung von Politikern?

Als junger Wissenschaftler, der sich an der Universität von Chicago mit dem Thema Staatsfinanzen beschäftigte, las Buchanan zum ersten Mal die Werke des schwedischen Wirtschaftswissenschaftlers Knut Wicksell. Später würde er dies als den spannendsten intellektuellen Moment seiner Karriere beschreiben, der den Ausgangspunkt für seinen Weg bis zur Auszeichnung mit dem Nobelpreis im Jahr 1986 markierte. Wicksell bot eine alternative Sichtweise auf die Strukturen, auf deren Basis politische Entscheidungen getroffen werden, und forderte die Wirtschaftswissenschaftler dazu auf, Politiker als Menschen und nicht als Heilige zu betrachten.

Wie arbeiten Politikerinnen und Politiker?

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Buchanan, in dessen Büro sogar ein Bild von Wicksell hing, entschloss sich, die meiste Zeit seiner wissenschaftlichen Karriere der Frage zu widmen, wie die eigenen Interessen der Politiker und Staatsbeamten ihre Entscheidungen beeinflussen.

«Mit den Erkenntnissen von Wicksell gewappnet konnte ich es wagen, die immer noch vorherrschenden Denkmuster in Frage zu stellen», so Buchanan. «Ich forderte meine akademischen Kollegen auf, vor der Analyse der Auswirkungen alternativer politischer Massnahmen zunächst ein Modell des Staates, der Politik zu postulieren.»

Werden Politiker durch das Gemeinwohl motiviert?

Auch wenn die Public-Choice-Theorie kein ganz neuer Zweig der Wirtschaftswissenschaften war, wurde Buchanan ihr stärkster Befürworter und der führende Vertreter dieses Ansatzes. Nach seinen Worten schafft diese Theorie «neue Einblicke in die politische Realität». Er betonte, dass man es sich zu einfach mache, wenn man Politiker als wohlwollende Beamte betrachtet, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen und deren einziges Ziel das Wohl der Allgemeinheit sei.

«Politiker versuchen meist, das zu fördern, was sie für das Interesse der gesamten Gruppe halten, dabei sind sie aber eigentlich auch nicht anders als wir selbst», so Buchanan. «Manchmal speist sich ihre Motivation auch aus ihren privaten Interessen, wie wir es von Geschäftsleuten kennen.»

Warum kann Demokratie nicht perfekt funktionieren?

Bevor Buchanan sich in seiner Arbeit mit diesem Thema beschäftigte, hatte kein anderer Wirtschaftswissenschaftler diesen Ansatz ernsthaft berücksichtigt. In den Wirtschaftswissenschaften wurden zwar Marktteilnehmer als Individuen angesehen, die sich um die Maximierung ihres Nutzens bemühen, oder anders ausgedrückt, als Verbraucher, die versuchen, den besten Wert zu erzielen und dabei so wenig wie möglich auszugeben. Politisches Verhalten wurde aber nicht nach den gleichen Massstäben analysiert. In dem Bewusstsein, dass jemand, der sich in anderen Bereichen seines Lebens egoistisch verhält, dies auch in seinem politischen Leben tun würde, betonte Buchanan, dass die Demokratie nicht so perfekt funktionieren könne, wie man vorhergesagt hatte. Er schlug vor, der Entscheidungsfreiheit von Politikern Grenzen zu setzen. «Ihr Handlungsspielraum hängt von den Regeln ab, nach denen sie sich richten müssen», sagte er. «Und darüber müssen wir nachdenken, wenn wir die Struktur dieser Regeln festlegen.»

Wie können verfassungsrechtliche Vorgaben angepasst werden?

Buchanan bezeichnete die Politik oft als Spiel und die Verfassung als «die Spielregeln». In seiner Arbeit untersuchte er, wie Verfassungsstrukturen angepasst werden könnten.

«Wir brauchen eine starke Regierung», sagte er. «Aber wir können ihr durch verfassungsrechtliche Grenzen, durch die Aufteilung der Gewalten, föderale Strukturen und miteinander im Wettbewerb stehende lokale Einheiten einen Rahmen geben.»

Ein Liberalist, dem Grenzen gesetzt sind

Verfügen Regierungen über zu viel Entscheidungsmacht?

Als Finanzwirtschaftler Finanzökonom beschäftigte sich Buchanan in erster Linie mit Steuerpolitik, Staatsausgaben und Staatsverschuldung. Im Rahmen seiner Forschung beschäftigte er sich unter anderem mit der Frage, wie viel Macht eine Regierung haben sollte. Er war fest davon überzeugt, dass sich die Macht zu sehr bei den Regierungen konzentrierte, worin er eine Gefährdung der Freiheit sah.

«Die Regierung dringt immer weiter vor, belegt uns mit immer mehr Steuern und reguliert jeden Aspekt unserer Aktivitäten, während sie nicht in der Lage ist, ihre eigenen Finanzen in Ordnung zu bringen», führte er aus.

Für Buchanan ist die Schweiz ein gutes Beispiel für ein Land, in dem die «Checks and Balances» funktionieren. «In der Schweiz gibt es kaum Klagen über Ungerechtigkeit in der Gesellschaft», sagte er. «Ohne einen übertrieben grossen Regierungsapparat oder eine machtvolle zentrale Bürokratie hat die Regierung nur wenig Einfluss auf das Leben der Menschen. Das ist etwas, was ich schätze.»

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Wie sollten sich die Bürger an politischen Prozessen beteiligen?

Nach Buchanans Überzeugung sollten sich die Menschen in geordneter Weise am politischen Diskurs beteiligen. Rebellion als Handlungsalternative lehnte er ab.

«Um die Tragfähigkeit der Gesellschaft zu sichern, müssen bestehende Regeln befolgt werden. Man sollte dann versuchen, diese Regeln schrittweise zu ändern», so Buchanan. Er riet dazu, «sehr skeptisch gegenüber Personen zu sein, die sich für ermächtigt halten, darüber zu bestimmen, wie man sein Leben zu organisieren hat».

Vor jenen, die einem vorschreiben wollen, wie man etwas zu tun hat, sollte man sich hüten.

«Im politischen Prozess muss die Verfassung die Interessen aller Beteiligten ausgleichen können. Man sollte versuchen, sich auf bestimmte Regeln zu einigen, unter denen wir unsere voneinander unabhängigen Aktivitäten verfolgen können, ohne uns gegenseitig zu sehr negativ zu beeinflussen», sagte er.

Kann die Schweiz als Vorbild für die EU dienen?

Im Vergleich zu anderen Wirtschaftswissenschaftlern seiner Zeit pflegte Buchanan enge Beziehungen mit Forschern und akademischen Gruppen in Europa. Er verbrachte einige Zeit in Italien und in Grossbritannien, wo er mehr über die lokalen Kulturen und über das Verhältnis des Individuums zum Staat in Europa erfahren wollte.

Europa auf dem Weg zu echter Integration

In den 1980er Jahren dachte Buchanan, dass die Europäer nicht gewillt seien, ihre nationale Souveränität aufzugeben, und hoffte, dass sich dies ändern würde. «Europa könnte die Chance verpassen, die es meiner Meinung nach hat», sagte er. «Die Nationalstaaten können als sehr wichtige autonome Strukturen weiterbestehen, aber innerhalb einer föderalen Struktur.»

Die Staaten müssen der zentralen europäischen Behörde die Macht geben, die Integration, den freien Handel und ein gewisses Mass an Währungseinheit durchzusetzen.

Erfüllung des American Dream

Die wissenschaftliche Arbeit von Buchanan lag nicht im damaligen Trend, aber dies störte ihn nicht. «Ich habe mich nie besonders dafür interessiert, den jeweiligen Modetendenzen zu folgen», erklärte er. «Ich richte mich danach, was mich interessiert.»

Der in Tennessee geborene Wissenschaftler blieb sein ganzes Leben lang im Süden der USA und lehrte und forschte an der George Mason University in Fairfax, Virginia, weit entfernt von den Universitäten der Ivy League. Er war nie als Berater für eine politische Partei tätig und übernahm auch keinen Regierungsposten. «Ich entspreche wahrscheinlich beinahe dem, was man einen Akademiker im Elfenbeinturm nennt», sagte er.

Auf seiner Farm in Virginia fand er die Einsamkeit und Isolation, die er suchte. «Ich finde es gut, mein eigenes Gemüse anzubauen und mein eigenes Rindfleisch zu haben», sagte er. «Ich möchte nicht von anderen Menschen abhängig sein.»

Ich verkörpere so etwas wie den amerikanischen Mythos von der sozialen Mobilität. Wie viele Jungen aus dem mittleren Tennessee, die in winzigen und armen öffentlichen Schulen auf dem Lande unterrichtet wurden, kennen Sie, die einen Nobelpreis erhalten haben?

Neuer Optimismus für die Zukunft

Als im Jahr 1989 die Berliner Mauer fiel und sich die westliche Welt in rasant veränderte, wurde der Denkansatz von Buchanan weniger von Pessimismus, sondern eher von Sanftmut geprägt. «Es gibt immer Platz für Pessimismus, aber wir müssen optimistisch bleiben, und das bin ich», sagte er. «Für ein Zusammenleben in individueller Freiheit, in angemessenem Wohlstand, in Frieden und Gerechtigkeit. Das sind keine wissenschaftlichen Fragestellungen.»

Es gibt also keine Lösung, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Der erforderliche Denkansatz ist nicht wissenschaftlich, sondern beruht auf Dialog.

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