UBS Outlook Schweiz: Braucht die Schweiz die EU?

Zurich08. Juli 2021, 10:30 MESZMedia Switzerland

Nachdem die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union (EU) gescheitert sind, ist die Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU offen wie selten zuvor. Die unmittelbaren Auswirkungen des Verhandlungsabbruchs auf die Schweizer Wirtschaft sind gering. Dennoch ist die Abhängigkeit von der EU bei Exporten, Arbeitskräften und Energie in den nächsten Jahrzehnten bedeutend und muss bei der künftigen Gestaltung der Beziehung bedacht werden.

Zürich, 8. Juli 2021 – Seit dem Frühjahr werden in der Schweiz die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zurückgefahren und der Ausblick für die hiesige Wirtschaft hellt sich zunehmend auf. Die Konjunktur hierzulande profitiert von einem starken Post-Corona-Aufschwung. Die Freude über die Erholung wird jedoch durch die Unsicherheiten in der Wirtschaftspolitik getrübt, seit der Bundesrat Ende Mai die Verhandlungen über das institutionelle Abkommen mit der EU ohne Abschluss beendet hat.

Künftige Beziehung zur EU so offen wie selten zuvor

Für die Schweiz hat die Weiterführung des bilateralen Wegs Priorität, für die EU hingegen das Rahmenabkommen. Die heute nur noch lose wirtschaftliche Verbindung zwischen Grossbritannien und der EU kann auch der Schweiz neue Möglichkeiten aufzeigen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wie stark die Schweiz auf eine enge Kooperation mit der EU angewiesen ist, um die zentralen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte im Aussenhandel, auf dem Arbeitsmarkt sowie in der Energiepolitik zu meistern.

Abhängigkeit von EU bleibt bestehen

Mit der Globalisierung haben sich auch ausserhalb der EU Absatzmärkte für Schweizer Exporteure eröffnet, die weiter an Gewicht gewinnen. Trotzdem ist die EU in den nächsten Jahrzehnten mit Abstand die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Damit bleibt der einfache Zugang zum EU-Binnenmarkt zentral. Eine Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit ist begrüssenswert, um die sich abzeichnende Verschlechterungen im steuerlichen Umfeld zu kompensieren, kann aber die enge Kooperation mit der EU nicht ersetzen.

Für den Schweizer Arbeitsmarkt stellt die Alterung der Gesellschaft die grösste Herausforderung dar. In den nächsten Jahrzehnten öffnet sich eine grosse Lücke zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage. "Es werden 2030 bis zu 225 000 und 2040 bis zu 450 000 (vollzeitäquivalente) Erwerbstätige fehlen. Die Schweizer Wirtschaft wird diese Herausforderung kaum ohne Arbeitskräfte aus der EU meistern können und ist auf einen möglichst guten Zugang zum EU-Arbeitsmarkt angewiesen", meint UBS-Ökonom Alessandro Bee. Auch das inländische Potenzial muss besser genutzt werden, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit vom EU-Arbeitskräftereservoir zu reduzieren. Wege dazu sind eine Erhöhung des Rentenalters sowie erweiterte Angebote für Kinderbetreuung, damit die Frauen ihr Arbeitspensum leichter aufstocken können.

Auch der Energiemarkt wird sich in den nächsten Jahrzehnten stark verändern angesichts der Elektrifizierung der Mobilität, dem 2017 beschlossenen Atomausstieg und dem Bekenntnis zum Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen. Es dürfte zu einer der grössten Herausforderungen für die Schweiz werden, künftig genügend Elektrizität zu produzieren, um die steigende Nachfrage zu befriedigen. Die drohende Lücke soll durch einen massiven Ausbau von Solarstrom bis zur Jahrhundertmitte geschlossen werden. Die Schweiz wäre aber trotzdem in einer Übergangsphase und in den Wintermonaten auf signifikante Stromimporte aus der EU angewiesen.

Daniel Kalt, Chefökonom UBS Schweiz führt aus: "Die Exportabhängigkeit der Schweiz von der EU nimmt in den nächsten Jahrzehnten zwar weiter ab, bleibt aber bedeutend. Im Bereich des Arbeitsmarkts und der Energieversorgung dürfte die Abhängigkeit zunehmen. Bei der künftigen Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehung zur EU müssen diese Überlegungen im Mittelpunkt stehen."

Starke Konjunkturerholung im Sommer

Die bereits bestehenden bilateralen Verträge bleiben aber vorderhand in Kraft, deshalb dürften die unmittelbaren Auswirkungen des Verhandlungsabbruchs auf die Schweizer Wirtschaft gering sein. Die Konjunktur hierzulande profitiert in den nächsten Quartalen sowohl von der starken Weltwirtschaft als auch vom Nachholbedarf der Schweizer Haushalte. Die UBS-Ökonomen rechnen 2021 mit einem BIP-Wachstum von 3,4 Prozent und 2022 mit 3 Prozent. Der durch Ölpreisanstieg und Lieferengpässe bedingte Inflationsanstieg ist nur vorübergehend, weshalb die Inflationsraten in der Schweiz sowohl 2021 als auch 2022 bei nur gerade 0,4 Prozent liegen dürften.

Mit einer Konjunkturerholung ist eine Erstarkung des Frankens gegenüber dem Euro unwahrscheinlich. Die UBS-Ökonomen erwarten einen Seitwärtstrend bei 1.10. Bei diesem EURCHF-Wechselkurs wird die Schweizerische Nationalbank auf Devisenmarktinterventionen verzichten können. Aufgrund der tiefen Inflation und der nur graduellen Erholung der Auslastung sind aber auch Zinserhöhungen bis mindestens 2024 kein Thema.

UBS Switzerland AG

Kontakt

Daniel Kalt, Chefökonom UBS Schweiz
Tel. +41-44-234 25 60
E-Mail: daniel.kalt@ubs.com

Alessandro Bee, Ökonom, UBS Chief Investment Office Global Wealth Management (CIO GWM)
Tel. +41-44-234 88 71
E-Mail: alessandro.bee@ubs.com

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