Zürich, 12. Juli 2023 – Die Schweizer Teuerung ist im Juni deutlich unter 2 Prozent gefallen, die Inflationsrisiken sind damit aber noch nicht gebannt. Sie haben sich zum Beispiel aufgrund der bevorstehenden Mietzinserhöhungen vielmehr von der Gesamt- zur Kerninflation verschoben. Um diesen Risiken zu begegnen, dürfte die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre Leitzinsen im September um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 2 Prozent erhöhen.

Steigende Zinsen und hohe Energiepreise belasten die Konjunktur in der Eurozone, weshalb das UBS Chief Investment Office Global Wealth Management (UBS CIO GWM) für 2023 nur mit einem schwachen Wachstum rechnet. Die Schweizer Wirtschaft dürfte sich dem nicht entziehen können und ebenfalls deutlich unter dem langjährigen Potenzial zulegen (Prognose BIP 2023: +0,9 Prozent; 2024: +1,3 Prozent).

Das unterdurchschnittliche Wachstum bricht aber gleichzeitig die Inflationsdynamik und erlaubt es der SNB voraussichtlich, die Leitzinsen ab Herbst stabil zu halten (Prognose Inflation 2023: 2,2 Prozent; 2024: 1,7 Prozent). Eine erste Zinssenkung dürfte aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2024 ein Thema werden, sofern die SNB davon überzeugt ist, dass die Inflationsgefahren in der Schweiz nachhaltig gebannt sind. Im zweiten Halbjahr 2023 wird der Anleihenmarkt wohl beginnen, diese Zinssenkungen in seine Erwartungen einzubeziehen, womit die Rendite von 10-jährigen Schweizer Staatsanleihen leicht sinken dürfte.

Das grösste konjunkturelle Risiko geht jedoch von einer möglichen US-Rezession aus. Fällt diese schwer aus, so dürfte sich auch der Schweizer Wachstumsausblick massiv eintrüben. SNB-Zinssenkungen würden dann rascher und stärker erfolgen. Das Risiko dürfte in den nächsten zwölf Monaten auch den US-Dollar belasten, vor allem gegenüber dem Franken. In Europa haben die Energierisiken hingegen abgenommen, sodass dem Franken der Auslöser für eine Aufwertung gegenüber dem Euro fehlt. Der EURCHF-Wechselkurs dürfte somit seitwärts tendieren (EURCHF in 12 Monaten: 0,98; USDCHF in 12 Monaten: 0,83).

Rückkehr zu tiefen Zinsen oder Trendwende

In den letzten 30 Jahren sind die Schweizer Zinsen kontinuierlich gesunken. Ist der deutliche Anstieg in den letzten Quartalen lediglich eine vorübergehende Gegenbewegung oder erleben wir eine Trendumkehr?

Für die längerfristige Entwicklung der Schweizer Zinsen ist der strukturelle Inflationsdruck zentral. Dieser wird durch verschiedene Faktoren verstärkt. Der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer schränkt das Arbeitskräfteangebot ein und führt zu mehr Lohndruck. Offen bleibt, inwiefern künstliche Intelligenz und Robotik diesem Trend entgegenwirken können. Die Neuausrichtung der Lieferketten erzeugt zusätzlichen Kostendruck. Die Unternehmen streben diese infolge der Spannungen zwischen den USA und China sowie den Beeinträchtigungen während der Pandemie an. Und der massive Anstieg der Energiepreise in den letzten beiden Jahren hat gezeigt, dass ein Umbau der Energieversorgung die Inflation zusätzlich beflügelt, wenn er mit starken Verwerfungen verbunden ist.

Nachdem die Konsumentenpreise im letzten Jahrzehnt stagniert haben, ist in den kommenden zehn Jahren mit einer Inflation zwischen 1 und 1,5 Prozent zu rechnen. Das dürfte im Durchschnitt mit Leitzinsen von 1 bis 1,25 Prozent und Renditen von 10-jährigen Anleihen bei 1,75 Prozent einhergehen.

«Eine höherer Inflationsdruck wird die SNB im nächsten Jahrzehnt anhaltend fordern. Sie verfügt über die Reputation und Instrumente, um die Inflation unter 2 Prozent halten zu können, muss den Leitzins dafür aber deutlich höher setzen als noch im letzten Jahrzehnt», kommentiert Daniel Kalt, Chefökonom UBS Schweiz.

Zurück in die 1980er-Jahre? 

Eine Rückkehr zur Tiefinflationsphase des letzten Jahrzehnts mit negativen Leitzinsen und 10-jährigen Renditen bei 0 Prozent ist nicht ausgeschlossen. Um in dieses Szenario zurückzukehren, müsste die Weltwirtschaft − und damit auch die Schweiz − jedoch in eine tiefe Rezession rutschen.

Das grössere Risiko wäre eine Entgleisung der Inflations- und Zinsentwicklung. Es würde sich realisieren, wenn der Druck der Inflation stark ausfiele und die SNB nicht in der Lage oder willens wäre, sie unter die 2-Prozent-Marke zurückzubringen. Für ein solches Szenario bietet der starke Inflationsanstieg Ende der 1980er-Jahre einen wichtigen Referenzpunkt. Damals stieg die Inflation auf über 6 Prozent an. Die SNB sah sich gezwungen, die Geldpolitik massiv zu straffen. Es gelang ihr erst Mitte der 1990er-Jahre, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen – zum Preis einer langen Rezession sowie einer Immobilienkrise.

Alessandro Bee, Ökonom Schweiz bei UBS CIO GWM, gibt zu bedenken: «Wenn die Inflation einmal nach oben entgleist, könnte die SNB sie wohl nur mit deutlich mehr Zeit und Kosten wieder einfangen. Dieses Szenario ist zwar weiterhin unwahrscheinlich, aber inzwischen nicht mehr undenkbar».



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