Herr Cina, beginnen wir mit den Basics: Was versteht man unter nachhaltigen Anlagen?

Claudio Cina: Heute trifft man Anlageentscheidungen nicht mehr nur nach Rendite- und Risikoabwägungen, sondern berücksichtigt auch Nachhaltigkeitskriterien. Welchen Impact erziele ich mit meinen Anlagen? Diese Frage ist zentral geworden für viele institutionelle Anleger und ihre Stakeholder. Pensionskassen sind sich ihrer gesellschaftlichen und politischen Verantwortung bewusst und versuchen, Rendite, Risiko und Nachhaltigkeit bei ihren Anlagen möglichst zu optimieren. Dazu bieten sich ihnen heute auch viel mehr Möglichkeiten. Vor wenigen Jahren noch konnten sie praktisch nur einzelne Unternehmen oder Sektoren ausschliessen. Heute fährt man zunehmend integrative Strategien, analysiert einzelne Investments nach ESG-Kriterien und der Übereinstimmung mit ihren Zielen – und übt auch seine Stimmrechte entsprechend aus. Demzufolge finden sich in immer mehr Anlagereglementen auch Nachhaltigkeitsvorgaben. In diesem Fall ist es wichtig, die Nachhaltigkeitsstrategien von Pensionskasse und Mutterunternehmen aufeinander abzustimmen.

Wer bestimmt, was nachhaltig ist und was nicht?

Cina: Es gibt unzählige auf Nachhaltigkeit spezialisierte Rating-Agenturen und Daten-Provider – und genauso viele Interpretationen und Bewertungen … Zudem deckt kein einziger Anbieter sämtliche Anlagemöglichkeiten ab. MSCI gilt als führend bei der Bewertung von Grossunternehmen, doch Ratings für Schweizer Mid Caps findet man bei MSCI zum Beispiel nicht. Man muss seine Daten also von mehreren Rating-Agenturen beziehen – und bewertet somit sein Portfolio nach unterschiedlichen Kriterien.

Wo liegt die Lösung?

Cina: Es braucht vor allem Transparenz und europaweite oder globale Standards, um die verschiedenen Ansätze und Bewertungen vergleichbar zu machen. Für mich ist das primär eine Aufgabe der Big 4. Treibende Kraft bei der Taxonomie ist aktuell die EU, meines Erachtens sollten auch die USA und wichtige Entwicklungsländer miteinbezogen werden. Viel wichtiger als die Messmethode ist für mich jedoch, dass Investoren und Pensionskassen für sich selbst sowie für ihre Stakeholder definieren, was nachhaltig ist und wo ihr Fokus liegen soll.

Ist das Reporting wirklich so wichtig für nachhaltige Anlagen – und warum?

Cina: Unbedingt! Man kann nur kontrollieren, was man auch messen kann. Deshalb sind transparente, verlässliche und konsistente Ratings essenziell bei der Titelwahl – ebenso bei der Portfolioanalyse und der regelmässigen Überwachung der Anlagestrategie. Eine Analyse der Nachhaltigkeit eines Portfolios wird zumindest schwierig, wenn die Daten aus mehreren Quellen stammen, unterschiedlich erhoben und nach verschiedenen Massstäben bewertet werden. Das wird spätestens dann kritisch, wenn mit der Nachhaltigkeitsanalyse auch die Performance verschiedener Asset Manager beurteilt wird.

Wo und wie liesse sich das Reporting verbessern?

Cina: Genau aus diesen Gründen hat UBS das System umgestellt. Für unsere neuen Nachhaltigkeitsberichte und -analysen
beziehen wir die ESG-Daten nicht mehr von einem Anbieter, sondern arbeiten mit einem Best-in-Class-Ansatz: Wir analysieren die Datenquellen und wählen in jedem Bereich den Anbieter mit der fundiertesten Analyse. Diese Daten harmonisieren wir, und so können wir die Nachhaltigkeit von Schweizer Small Caps und global tätigen Konzernen nach gleichen Massstäben beurteilen.

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Wie wichtig sind die ESG-Kriterien für nachhaltige Anlagestrategien?

Cina: Die ESG-Daten bilden die Grundlage der gesamten Strategie, sind also absolut zentral. Beim Entwickeln einer nachhaltigen Anlagestrategie definiert eine Pensionskasse als erstes, was sie unter Nachhaltigkeit versteht und welche ESG-Kriterien ihr besonders wichtig sind: Konzentriert sie sich primär auf E-Themen wie CO2-Reduktion? Oder sind für sie und ihre Stakeholder Aspekte wie Inklusion und transparente Unternehmensführung gleich wichtig?

Wie soll eine Pensionskasse vorgehen, wenn sie nachhaltiger anlegen will?

Cina: Als Grundlage für alle weiteren Schritte sollte sie festlegen, welche Aspekte der Nachhaltigkeit ihr und/oder dem Mutterunternehmen wichtig sind. Dann bestimmt sie die Stossrichtung der Strategie, indem sie festlegt, wo und wie stark sie sich engagieren will: Gibt sie dem Druck nach und investiert sie nachhaltig, vor allem um Reputationsschäden zu vermeiden? Dann wird sie eine passive Strategie wählen. Oder will sie ihr Engagement als Imagefaktor nutzen? Dann ist eine auf Impact ausgerichtete Kampagne angebracht. Selbstverständlich geht es hier auch immer um eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Generell kann man sagen: Je aktiver die Strategie, desto kostspieliger die Umsetzung.

Eine zweijährige Übergangsphase ist realistisch. Ab dann sollten alle Vermögenswerte die ESG-Vorgaben erfüllen.

Braucht es wirklich eine neue Anlagestrategie? Könnte man nicht einfach die bestehende Strategie mit ESG-konformen Anlagen umsetzen?

Cina: Eine herkömmliche Anlagestrategie zielt darauf ab, die zukünftigen Verbindlichkeiten zu decken. Um das Ziel zu erreichen, werden die drei quantifizierbaren Stellgrössen optimiert: Rendite, Risiko und Liquidität. Neu kommt nun die Nachhaltigkeit als qualitativer Aspekt hinzu. Also muss die Pensionskasse ihren Fokus definieren: ESG generell, vor allem E oder «E+sg»? Welches Kriterium ist im Zweifelsfall wichtiger, Rendite oder Nachhaltigkeit? Es braucht eine neue Anlagestrategie, weil die bestehende genau diese Fragen nicht beantwortet – und damit auch die strategische Stossrichtung nicht definiert.

Dann braucht es also auch ein neues Anlagereglement?

Cina: das Anlagereglement definiert Grundsätze und bildet die Basis für die Anlagestrategie. Asset Manager – interne ebenso wie externe – brauchen klare Vorgaben: Wie sollen sie die Strategie umsetzen? Und woran werden sie gemessen? Zudem müssen auch die Destinatäre wissen, wo, wie und mit welchem Schwerpunkt ihr Geld künftig angelegt wird.

Was geschieht mit den bestehenden Anlagen?

Cina: Das Portfolio soll die Anlagestrategie umsetzen. Deshalb müssen bestehende Anlagen ersetzt werden, wenn sie nicht der Strategie entsprechen. Das muss nicht von heute auf morgen geschehen, eine zweijährige Übergangsphase ist realistisch. Ab dann sollten alle Vermögenswerte die ESG-Vorgaben erfüllen. Natürlich gilt die Strategie auch für Direktanlagen. Bei Immobilien zum Beispiel sollten Sie in der Strategie festlegen, wie weit Ihr nachhaltiges Engagement geht: Folgen Sie dem Buchstaben und ersetzen Sie die kaum fünf Jahre alte Erdgasheizung durch Erdwärme – oder bewerten Sie auch den Ressourcenverbrauch? Erhalten Ihre Mieterinnen und Mieter neue Verträge mit mehr Nachhaltigkeitsvorgaben? Ersetzen Sie die doppelverglasten Fenster durch neue mit Dreifachverglasung? Nachhaltigkeit ist auch eine Frage der Einstellung und manchmal schwer zu quantifizieren.

Die Auswahl ist heute so gross, dass Pensionskassen sogar innerhalb der ESG-Kriterien gewichten können.

Wie können Vorsorgeeinrichtungen, die einer Sammelstiftung angeschlossen sind, ihrer Verantwortung nachkommen? Sie haben ja nur wenig oder keinen Einfluss auf die Anlagestrategie der Stiftung?

Cina: Dieses Problem wird der Markt lösen. Der Wettbewerbsdruck zwingt die Sammelstiftungen, sich klar zu positionieren – zum Beispiel durch ein breites Spektrum an ESG-Fonds und Direktanlagen. Die Vorsorgeeinrichtung kann ihren Vertrag kündigen und zu einer nachhaltigeren Sammelstiftung wechseln. Sie kann aber auch die Kündigung als Druckmittel einsetzen, um nachhaltigere Anlagemöglichkeiten zu erhalten. Zudem gibt es auch Sammelstiftungen, die individuelle Anlagestrategien anbieten; sie können deshalb auch spezifische Anforderungen an die Nachhaltigkeit berücksichtigen. Mit unserer «Beratung berufliche Vorsorge» unterstützen wir KMU auf der Suche nach einer passenden Sammelstiftung.

Und wie unterstützen Sie Pensionskassen auf dem Weg zu nachhaltigen Anlagen?

Cina: Mit Rat und Tat. Erstens beraten wir sie umfassend – zum Beispiel dazu, welche Aspekte wichtig sind, wie sie ESG-Kriterien nutzen können, wie sie den Übergang von herkömmlichen zu nachhaltigen Anlagen reibungslos gestalten. Zweitens übernehmen wir bei Bedarf auch die Verantwortung für die Umsetzung der Strategie.

Ist das Anlageuniversum gross genug für ein breit diversifiziertes Portfolio nach ESG-Kriterien?

Cina: Mittlerweile ja, in den letzten Jahren sind viel mehr Anlagemöglichkeiten entstanden. Die Auswahl ist heute so gross, dass Pensionskassen sogar innerhalb der ESG-Kriterien gewichten können und trotzdem breit diversifiziert sind.

Letzte Frage: Ab wann darf die zweite Säule nur noch nachhaltig angelegt werden?

Cina: Dies könnte schneller der Fall sein, als Sie erwarten; da bin ich sehr zuversichtlich. Erstens könnte der Regulator dem gesellschaftlichen Druck nachgeben und neue Vorgaben erlassen. Zweitens wird der Druck der Stakeholder auf die Pensionskassen weiter zunehmen. Und drittens könnte der Druck der Investoren so gross werden, dass nicht nachhaltige Anlagemöglichkeiten schon vor dem regulatorischen Eingriff vom Markt verschwunden sind.

Eric Landolt

Claudio Cina

Head Advisory & Platform Solutions, Institutional Clients

Claudio Cina ist zuständig für den Anlageprozess institutioneller Kunden. Mit seinem Team berät er Pensionskassen beim Wechsel auf nachhaltige Anlagen und unterstützt sie bei der Entwicklung einer Strategie, die ihren Nachhaltigkeitszielen entspricht. Er arbeitet seit zehn Jahren bei UBS und verfügt über grosse Erfahrung in der Anlageberatung unterschiedlicher Kundengruppen. Claudio Cina hält einen Master in Banking and Finance der Universität St. Gallen sowie einen CFA.


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