Das Phänomen Home Bias

Bei Schweizer Pensionskassen ist ein ausgeprägter Home Bias zu beobachten: Sie investieren deutlich mehr in einheimische Anlagen, als dies theoretisch angezeigt wäre. (Siehe Hintergrundinformation in der Box "Was ist ein Bias?")

Anschaulich wird dieses Phänomen insbesondere bei der Zusammensetzung des Aktienanteils von Pensionskassenvermögen. Der durchschnittliche Anteil an Schweizer Aktien am Gesamtaktienengagement beträgt hier knapp 30 Prozent (vergleiche: "Pensionskassen-Performance – Kapitalanlagen im Januar 2020", Investment Research, UBS, Februar 2020). Nimmt man jedoch beispielsweise den breit gefassten MSCI All Countries World Index als Referenz, so sollten Schweizer Aktien nur ein Gewicht von knapp 3 Prozent haben. Inländische Aktien sind also massiv übergewichtet.
 

In guter Gesellschaft

Gilt diese Beobachtung nur für Schweizer Pensionskassen? Keineswegs. Der Home Bias kann in allen wichtigen Pensionskassenmärkten festgestellt werden. Internationale Untersuchungen zeigen, dass überall eine starke Präferenz für den jeweils heimischen Aktienmarkt besteht. Sie hat über die letzten 20 Jahre zwar stetig von rund 70 auf 40 Prozent abgenommen, ist damit aber in den meisten Ländern immer noch ausgeprägter als in der Schweiz (vergleiche: "Global Pension Asset Study – 2020", Thinking Ahead Institute, Willis Towers Watson, Februar 2020, Seite 34).

Was ist ein Bias?

Würden Anleger exakt entsprechend den traditionellen finanztheoretischen Grundlagen wie dem Capital Asset Pricing Model investieren, so wären alle riskanten (gehandelten und nicht gehandelten) Anlagen genau im Verhältnis zu ihrem Marktwert in der Anlagestrategie enthalten. Doch dies trifft im Anlagealltag nicht zu.

Selbst wenn das theoretische Konzept des sogenannten Marktportfolios durch den Einsatz marktgewichteter Börsenindizes umsetzungstauglich gemacht wird, ändert dies nichts an der Kluft zwischen Theorie und Praxis. Bei den effektiv umgesetzten Anlagestrategien lassen sich ausgeprägte Abweichungen von den theoretisch erwarteten Referenzgewichtungen beobachten. Die bekannteste dieser Verzerrungen (auf Englisch "bias") wird im Finanzjargon "Home Bias" genannt. Damit ist das überproportionale Bevorzugen des Heimmarkts gemeint.

Neben dem Home Bias können – immer in Relation zum theoretischen Marktportfolio – noch weitere Verzerrungen beobachtet werden. So werden grosskapitalisierte Unternehmen gegenüber Kleinunternehmen übergewichtet ("Large Cap Bias"). Aktien von Unternehmen in Industrieländern haben gegenüber jenen in Schwellenmärkten ein überproportionales Gewicht ("Regional Bias"). Ebenso sind Anlagen in Public Markets (sprich börsenkotierte Titel) gegenüber Private Markets übervertreten.

Wie lässt sich dieser Umstand erklären? Die Portfoliotheorie legt nahe, dass ein so deutlicher Home Bias klare Nachteile hat. Nur das sogenannte Marktportfolio weist ein optimales Rendite-Risiko-Verhältnis auf. In Richtung Heimmarkt verzerrte Portfolios sind hingegen ungenügend diversifiziert und enthalten unnötige Länder-, Sektor- und Faktor-Risiken. So bedeutet eine Anlage in den Swiss Market Index (SMI) eine Exposition von rund 80% in lediglich drei Sektoren, namentlich Gesundheit, Nahrungsmittel und Finanzdienstleistungen. Zudem wird das vorhandene langfristige Renditepotenzial nicht voll ausgeschöpft. Der Home Bias wäre nur dann vertretbar, wenn der Schweizer Aktienmarkt systematisch höhere Renditen abwerfen würde. Das Anlagejahr 2019 ist aber auch in dieser Hinsicht nicht die Regel.
 

Extremfall Immobilien

Überaus akzentuiert tritt der Home Bias bei Immobilienanlagen auf. In dieser Anlagekategorie wird oftmals ganz auf Investitionen im Ausland verzichtet, obschon der Anteil des Schweizer Immobilienmarkts gemessen am weltweiten Immobilienbestand klein ist.

Diese verzerrte Immobilienallokation kann nicht als Resultat irrationalen Verhaltens gedeutet werden. Gerade bei Immobilien liegen handfeste Gründe vor. (Die Anlagerichtlinien in der BVV 2, Art. 55 lit. c beschränken den zulässigen Anteil der Immobilienanlagen im Ausland auf einen Drittel.) Der Schritt ins Ausland ist in dieser Anlagekategorie sehr anspruchsvoll. Die begrenzte Stückelung (bei Direktanlagen), die eingeschränkte Handelbarkeit, die hohen Transaktionskosten sowie komplexe steuerliche Aspekte erklären weitgehend das in der Praxis beobachtete Anlageverhalten.
 

Phänomen Aktien

Bei Aktien ist die deutliche Präferenz für den Heimmarkt jedoch schwieriger zu begründen. Welches könnten die treibenden Faktoren sein? Währungsrisiken können effizient eliminiert werden. Eine mögliche Informationsasymmetrie kann über eine Delegation an Spezialisten überwunden werden. Die Handelbarkeit der Titel ist an ausländischen Börsen oftmals besser. Ebenso sind die Transaktionskosten (inklusive Geld-Brief-Spanne) dort meist tiefer.

Das Risikomanagement ist aufgrund vielfältigerer und liquiderer derivativer Finanzinstrumente für Auslandaktien einfacher. Die Rückforderung ausländischer Quellensteuern auf Dividenden ist dank Doppelbesteuerungsabkommen vergleichsweise einfach und kann mittels einer Entlastung an der Quelle sogar obsolet werden. Auch der Aspekt der Stückelung spielt angesichts des vielfältigen Aktienfonds-Angebots keine Rolle.

Zwei Aspekte könnten den beobachteten Home Bias bei Aktien teilweise relativieren:

  • Der Schweizer Aktienmarkt wird von global tätigen Firmen dominiert. Der Anteil der drei grössten Schweizer Unternehmen am SMI beträgt über 50 Prozent. Diese Firmen generieren jedoch ihre Umsätze mehrheitlich im Ausland. Durch das Halten dieser Titel hat eine Pensionskasse somit de facto eine globale Exposition. Der Home Bias wird also überschätzt, wenn nur der Kotierungsstandort betrachtet wird.
  • Im Konsumkorb eines Rentners dominieren vor allem Dienstleistungen. Diese werden mehrheitlich lokal erbracht. Ein überproportional in heimische Unternehmen investiertes Portfolio kann daher als bessere Absicherung (Hedge) für die Rentenzahlungen betrachtet werden.
     

Verzerrte Bevorzugung von Anbietern

Der Home Bias spielt aber nicht nur im engeren Sinne des Anlageverhaltens eine Rolle, sondern auch im weiteren Sinne. Angesprochen ist hier die Bevorzugung von Schweizer Anbietern von Vermögensverwaltungs-, Depotbank- sowie Beratungsdienstleistungen.

Im Bereich Asset Management hat der starke internationale Wettbewerb zu einer deutlichen Öffnung des Schweizer Markts geführt. Das Angebot von ausländischen Fondsanbietern ist mittlerweile riesig. Der Trend zum passiven Investieren reduziert die Bedeutung des Dialogs. Sprachbarrieren sind daher kaum mehr von Bedeutung. Zudem haben die international etablierten Anlegerschutzbestimmungen die rechtlichen Hürden gesenkt.

Je nach Anlagekategorie beziehungsweise Aufgabe gibt es gute Gründe für einen Home Bias – oder nicht.

Bei Depotbanken ist der Home Bias deutlicher. Das komplexe Dienstleistungsbündel, der Stellenwert von Entscheidungsgrundlagen (Investment Reporting) sowie notwendige Elemente für den Geschäftsbericht (Wertschriftenbuchhaltung) stellen Anforderungen hinsichtlich Sprache, Zeitzone, Rechnungslegungsstandards, Gerichtsstand und BVG-Kenntnissen. Daher nutzen nur vereinzelte, sehr grosse Vorsorgeeinrichtungen ausländische Anbieter.

Die Investment Consultants profitieren besonders ausgeprägt von der Inländerbevorzugung. Ausländische Anbieter brauchen fast zwingend eine lokale Niederlassung, denn Sprache und vertiefte Kenntnisse der Schweizer Rahmenbedingungen (BVG, BVV 2, OAK-und BSV-Richtlinien, Fachrichtlinien et cetera) sind unerlässlich und wirksame Markteintrittshürden.
 

Gute und weniger gute Gründe

In herkömmlichen finanztheoretischen Modellen kommen Verzerrungen wie der Home Bias nicht vor. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Für die beobachtete starke Übergewichtung des Heimmarkts können nur teilweise befriedigende Erklärungen gefunden werden. Vor allem der Home Bias bei Aktienanlagen lässt sich nur bedingt erklären und dürfte eher auf die Anlegerpsychologie zurückzuführen sein.

Sven Ebeling

Sven Ebeling, Head Asset Servicing Switzerland, UBS Switzerland AG

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