Zürich, 10. November 2020 – Die Schweizer Wirtschaft dürfte aufgrund der neuen Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus über die Jahreswende deutlich langsamer wachsen als erwartet. Im vierten Quartal ist ein Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) wahrscheinlich. "Eine tiefe Rezession ist jedoch nicht zu erwarten", sagt Daniel Kalt, Chefökonom UBS Schweiz. "Ein neuer flächendeckender Lockdown dürfte vermieden werden, da die Behörden besser vorbereitet sind als im Frühjahr und auch bei der COVID-19-Behandlung Fortschritte erreicht wurden."

Falls gegen Mitte des nächsten Jahres ein Impfstoff für die breite Bevölkerung verfügbar wird, ist eine Wiederbelebung des Wachstums wahrscheinlich. Aufgrund des grossen Aufholpotenzials dürfte die Schweizer Wirtschaft auch im Jahr 2022 robust wachsen. Die UBS-Ökonomen rechnen 2020 mit einem Rückgang des BIP von 4,5 Prozent sowie 2021-2022 mit einem Wachstum von 3,2 bzw. 3,1 Prozent. Die konjunkturellen Risiken sind allerdings hoch. Sollte die Pandemie einen erneuten flächendeckenden Lockdown in der Schweiz und in Europa erfordern, so wäre eine zweite schwere Rezession vorprogrammiert. 

K-förmige Erholung

Mit der Eintrübung der Stimmung verstärkt sich die Zweiteilung der wirtschaftlichen Genesung, was man auch als K-förmige Erholung bezeichnet. Die Wirtschaft erholt sich nämlich nicht über alle Branchen hinweg gleichmässig. Auf der einen Seite sind solche, die von der Krise wenig getroffen wurden (z.B. Pharma- und Finanzbranche) oder sich seither deutlich erholt haben (z.B. der Bau). Sie sind auch von den neuerlichen Massnahmen weniger betroffen und dürften ihre Erholung fortsetzen. Auf der anderen Seite stehen Branchen, die stark unter dem Lockdown litten und in den letzten Monaten Mühe hatten, sich zu erholen (z.B. Gastronomie und Reisebranche). Sie sind auch jetzt wieder am stärksten betroffen.

Die Massnahmen des Bundes im Frühjahr trugen dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit bisher nur moderat anstieg und die Konkurse sogar deutlich zurückgingen. Eine neuerliche Konjunktureintrübung könnte jedoch so manches Unternehmen zur Aufgabe zwingen, insbesondere in den Branchen, die durch die Rezession bereits im ersten Halbjahr geschwächt wurden. Die UBS-Ökonomen gehen aus diesem Grund davon aus, dass sowohl die Konkurse als auch Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten deutlich ansteigen werden.

Nach einem ruhigen dritten Quartal dürfte die Schweizerische Nationalbank (SNB) aufgrund der konjunkturellen Unsicherheiten im vierten Quartal wieder mehr gefordert sein. Solange der Aufschwung nicht ganz abbricht, dürfte der Franken aber nicht stark aufwerten und die SNB müsste nicht wieder regelmässig und mit hohen Volumen am Devisenmarkt intervenieren. Phasen mit Konjunkturängsten könnten die SNB jedoch zwingen, sporadisch in die Märkte einzugreifen. Die Leitzinsen werden noch über Jahre hinweg negativ bleiben, sodass auch die Zinsen von länger laufenden Anleihen selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung kaum ansteigen dürften.

Deflationäre Risiken in den nächsten Jahren

Ein Grund für die lange Tiefzinsphase ist der Inflationsausblick für die nächsten Jahre. Dieser ist von der COVID-19-Krise geprägt, die zu einer massiven Unterauslastung der Wirtschaft geführt hat. Eine Normalisierung wird wohl erst 2024 oder 2025 erfolgen. "Die Unterauslastung dürfte das Lohnwachstum und die Teuerung mittelfristig weiter schwächen und weist auf deflationäre Risiken hin", erklärt Alessandro Bee, Ökonom bei UBS CIO GWM.

Gleichzeitig existieren aber auch Faktoren, die längerfristig zu einer höheren Inflation führen können. Die COVID-19-Krise hat die Anfälligkeit von globalisierten Wertschöpfungsketten aufgezeigt. Diese zu entglobalisieren, macht die Wertschöpfung zwar stabiler, erhöht aber auch die Kosten und damit die Preise. Das könnte auf lange Sicht zu einer höheren Inflation führen und Inflationsrisiken wieder in den Fokus der SNB rücken. Vorerst wird diese ihr Augenmerk wohl aber auf Deflationsrisiken legen.

Entglobalisierung und auch der Rückzug der Baby-Boomer-Generation aus dem Arbeitsleben können langfristig wieder zu einer höheren Teuerung führen. Die stärksten Inflationsängste sind heute aber mit der in den letzten Jahren geschaffenen Liquidität verbunden. Führt die heute extrem expansive Geldpolitik zu einem starken globalen Wachstum und zu einer Abwertung des "sicheren Hafens" Schweizer Franken, könnte die Teuerung hierzulande wieder beschleunigen. Eine extrem expansive Geldpolitik kann aber auch das Vertrauen der Investoren in die Währung zerstören, eine Flucht in Realwerte auslösen und so eine Inflationsspirale in Gang setzen. Solche Szenarien sind in der Schweiz unwahrscheinlich – wenn auch nicht ganz auszuschliessen.


UBS Switzerland AG

Kontakte

Daniel Kalt
Chefökonom UBS Schweiz
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daniel.kalt@ubs.com

Alessandro Bee
Ökonom, UBS Chief Investment Office Global Wealth Management (CIO GWM)
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alessandro.bee@ubs.com