Barry Gill
Head of Investments

Die Macht und der Einfluss des Dollars im globalen Finanzwesen schwinden. Barry Gill untersucht alternative Reservewährungen und ihre Auswirkungen auf Investitionen.

Tiefgreifende Veränderungen gestalten sich selten so, wie man es erwartet. Wie der amerikanische Futurist Buckminster Fuller es ausdrückte:

Man verändert nie etwas, indem man gegen die bestehende Realität ankämpft. Um etwas zu verändern, muss man ein neues Modell bauen, or «welches») das bestehende obsolet macht.

Nehmen wir die Machtposition des Dollars. Kaum war die sprichwörtliche Tinte auf den Druckmaschinen der quantitativen Lockerung nach der globalen Finanzkrise getrocknet, wurden schnell Gerüchte über die Erosion des „exorbitanten Privilegs“ der USA laut. Seitdem ist eine multipolare Welt, in der ein Korb von Reservewährungen als monetärer Ballast dient, in aller Munde.

Dennoch scheinen wir einem Übergang nicht näher gekommen zu sein. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen und die Entwöhnung des globalen Finanzwesens von seiner Sucht nach dem Dollar (d.h., die Entdollarisierung) hat sich als schwierig erwiesen. Sieht man jedoch etwas genauer hin, lassen sich einige interessante Tendenzen erkennen. Vielleicht geht die Gefahr für den Dollar nicht von anderen Fiat-Währungen aus, sondern von völlig neuen Handlungsmöglichkeiten.

Aus der Vergangenheit lernen

Der US-Dollar ist seit dem Bretton-Woods-Abkommen von 1946 unangefochten die führende Reservewährung der Welt. Nur wenige Anleger können sich so weit zurückerinnern, doch vor dem Dollar war das britische Pfund die wichtigste Reservewährung weltweit. Das Pfund Sterling erlangte seine Vormachtstellung, als das britische Empire (Deutsch: das Britische Imperium) seinen Zenit erreichte, und seine Dominanz hielt bis zu dessen Ende an. Zuvor hatte der holländische Gulden eine ähnliche Rolle gespielt, ebenfalls im Einklang mit imperialer Macht und wirtschaftlichem Einfluss. Und davor der spanische Real.

Also hat es in der Vergangenheit ähnliche Verschiebungen gegeben, auch wenn der Tod einer globalen Reservewährung kaum vorstellbar ist. Der Investor und Autor Ray Dalio vertritt die Ansicht, dass der relative Niedergang der USA und der Aufstieg Chinas darauf hindeuten, dass ein solcher Wandel im Gange ist – zumindest wenn wir uns auf vorangegangene Tendenzen verlassen.¹ Aber Dalio hat auch gesagt, „Wer nach der Kristallkugel lebt, wird Glasscherben essen.“²

Die Fragmentierung der Finanzarchitektur

Es gibt keine Garantie dafür, dass der Dollar auf dieselbe Weise gestürzt wird wie andere dominierende Reservewährungen vor ihm. Trotz der Größe der chinesischen Wirtschaft und Chinas Führungsposition im Welthandel verdrängt der Yuan den Dollar nicht so stark wie der Doller es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Pfund Sterling getan hat.

Das bedeutet aber nicht, dass der Dollar unangefochten ist. Verschärfte geopolitische Spannungen haben zur Bewaffnung der Finanzwelt geführt, die inzwischen zur ersten Wahl des Weißen Hauses geworden ist. Man erinnere sich, wie die USA als Reaktion auf die Invasion der Ukraine russische Dollarreserven eingefroren und Russland aus dem SWIFT-Abwicklungssystem ausgeschlossen haben. Derzeit stehen 17 weitere Länder oder Regionen unter finanziellen Sanktionen seitens der USA.3

Mit wachsenden geopolitischen Spannungen wächst das Interesse vieler Länder, dem finanziellen Arsenal der USA nicht vollständig ausgesetzt zu sein. Dazu gehört vor allem China. In den Bereichen Handel und Technologien ist die Beziehung zwischen den beiden größten Weltmächten zunehmend angespannter. Dies gibt China einen großen Anreiz, die Auswirkungen möglicher Finanzsanktionen der USA zu vermeiden.

Der offensichtliche Weg, dies zu erreichen, ist die Entthronung des Dollars. Allerdings macht der chinesische Yuan derzeit weniger als 3% der globalen Währungsreserven aus, der Dollar hingegen fast 60%. Würden die Währungsreserven gleichmäßiger auf verschiedene Währungen verteilt, würde das die Position des Dollars schwächen. In einer multipolaren Welt würde anderen Währungen, darunter dem Yuan und sogar einer BRICS-Währung, eine bedeutendere Stellung zukommen – ein Zeichen für den Niedergang der US-amerikanischen Vormacht. In jüngster Zeit hat China ein internationales Interbankenzahlungssystem ausgebaut, das es ermöglicht, auf Yuan lautende Transaktionen ohne Rückgriff auf westliche Systeme abzuwickeln. Das bietet Potenzial für einen sanktionssicheren Handel.

Auf der anderen Seite wird der Dollar durch einen beträchtlichen Etablierten-Effekt und die Vorteile gestärkt, die die USA gegenüber China genießen: ein transparentes Gerichtssystem, die Achtung der Rechte ausländischer Investoren und ein tiefer und offener Kapitalmarkt.

Die Gefahr für den Dollar könnte jedoch aus einer anderen Richtung kommen. Eine Reservewährung muss Anlegern drei Dinge bieten: ein Wertaufbewahrungsmittel, eine Rechnungseinheit und ein bequemes Zahlungsmittel.

Als Wertaufbewahrungsmittel ist der Dollar angreifbar,5 aber trotz der quantitativen Lockerung hat er sich langfristig als stabiler erwiesen als viele andere Fiat- Währungen, einschließlich des Yuan.6 Die gleiche Stabilität macht den Dollar zu einer zuverlässigen Rechnungseinheit für die Bewertung von Waren und Dienstleistungen. Allerdings wird der Komfort des Dollars als Zahlungsmittel bereits infrage gestellt.

Verschiebung der Zahlungsmuster

In vielen Teilen der Welt gilt nicht länger „Cash is king.“ So beispielsweise in China, wo man schon lange mit Apps wie Alipay und WeChat Pay alles vom Flugticket bis zum Straßensnack kauft. Statt eines teuren Zahlungsgeräts benötigen die Verkäufer nur einen QR-Code.⁷ ⁸

Die Coronapandemie und die damit verbundenen Hygienebedenken haben den Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft beschleunigt, was auch in anderen Schwellenländern zu beobachten ist.⁹ Während der Westen weiterhin auf umständliche Kartennetze setzt, haben sich viele Entwicklungsländer an einfachere, elegantere und nahtlosere Zahlungen gewöhnt.
Diese digitalen Zahlungssysteme können den internationalen Handel verbessern, indem sie Zwischenhändler obsolet machen und so Kosten senken. Bereits jetzt haben Indien und Singapur ihre digitalen Zahlungssysteme miteinander verbunden, ebenso wie Singapur und Thailand. Gleichzeitig verwenden immer mehr Entwicklungsländer chinesische Apps wie UnionPay, Alipay und WeChat Pay, die dank ihres QR-Code-Modells kostengünstig und effizient sind.

Das Schleichen der Kryptowährungen

Eine weitere potenzielle Bedrohung für die Vorherrschaft des Dollars geht von Kryptowährungen aus. Diese bieten ein dezentrales Tauschmittel außerhalb von staatlichem Einfluss.
Kryptowährungen bieten eine Rechnungseinheit und ein Zahlungsmittel, womit sie zumindest zwei der drei Funktionen einer Reservewährung erfüllen. Über ihre Wirksamkeit als Wertaufbewahrungsmittel herrscht jedoch noch Uneinigkeit. Aufgrund ihrer dramatischen Volatilität und ihrer öffentlichkeitswirksamen Skandale an den wichtigsten Börsenplätzen wird diese in Frage gestellt.

Nik Bhatia, ein Akademiker, Stratege und prominenter Krypto-Exponent, sagt jedoch, dass Fiat-Währungen angesichts ihrer wiederholten Aushöhlung durch Regierungen, sei es durch Münzabschneidung, Metallentwertung oder quantitative Lockerung unsichere Wertaufbewahrungsmittel sind:

Im Laufe der Geschichte haben Währungen aufgrund einer rudimentären Tatsache aufgehört zu existieren: Regierungen sind nicht in der Lage, der Versuchung zu widerstehen, kostenloses Geld für sich selbst zu schaffen.

Bhatia argumentiert, dass sein dezentraler Charakter und seine politische Neutralität den Bitcoin eines Tages zur weltweit führenden Reservewährung machen werden – auch wenn er damit nicht in naher Zukunft rechnet.10

Dennoch haben sowohl die Zentralafrikanische Republik als auch El Salvador Bitcoin zu einer offiziellen Währung gemacht. El Salvador ist noch weiter gegangen und hat einen Teil seiner Reserven in Bitcoin angelegt. Und selbst wenn Kryptowährungen hinter den Erwartungen zurückbleiben, können sie doch dazu beitragen, die Dominanz des Dollars allmählich zu schwächen.

Die Zentralbanken werden digital

Eine Form der digitalen Währung hat ein größeres Potenzial, den Dollar zu verdrängen: digitale Zentralbankwährungen (central-bank digital currency, CBDC).

Der entscheidende Punkt bei CBDCs ist, dass sie gesetzliche Zahlungsmittel sind - direkte Verbindlichkeiten der Zentralbanken. Im Gegensatz zu digitalen Zahlungen, die über Banküberweisungen, Kreditkarten oder mobile Apps abgewickelt werden, sind an Zahlungen mit CBDCs keine Zwischenhändler beteiligt. Das macht sie günstiger und schneller, was ihnen einen unmittelbaren Vorteil gegenüber traditionellen Fiat-Währungen verschafft.

Obwohl Finnland in den 1990er Jahren ein fehlgeschlagenes Experiment mit CBDCs unternahm, ist China hier führend. Die chinesische Volksbank begann vor fast einem Jahrzehnt mit der Arbeit an ihrer digitalen Währung und der digitale Yuan wurde 2020 in der Praxis getestet.

Dieser First-Mover-Vorteil könnte es China ermöglichen, den digitalen Yuan in seinem riesigen Handelsnetz zu internationalisieren, über das es durch die Neue Seidenstraße verfügt. China wickelt bereits einen Teil des internationalen Handels in Yuan ab, und der digitale Yuan könnte mit seinen Geschwindigkeits- und Kostenvorteilen Ländern entgegenkommen, die den Einfluss der USA mindern wollen.

Allerdings könnte das Potenzial des digitalen Yuan noch begrenzt sein. Die chinesische Volksbank kann seine Verwendung einschränken, was sich als unliebsam erweisen könnte. Außerdem könnte es Bedenken hinsichtlich der Überwachung von Transaktionen durch China geben. Und China selbst könnte zögern, sich auf den direkten Wettbewerb mit dem Dollar einzulassen, da das die Öffnung seines Kapitalkontos erfordern würde.

Wir befinden uns hier auf Neuland, und China ist unser Wegbereiter. Während andere Zentralbanken das Potenzial für eigene CBCDs prüfen, könnte der digitale Yuan der Anfang von etwas sein, das unser bisheriges Modell der Reservewährung letztlich überflüssig macht.

Auswirkungen für Investitionen

Es gibt viele Möglichkeiten, all dies zu interpretieren und in Investitionsentscheidungen umzusetzen. Die folgenden Abbildungen und ersten Beobachtungen werden Sie sicherlich zum Nachdenken anregen.

Diagrammbeschreibung: Das Diagramm zeigt, dass sich die historische Korrelation zwischen US- und britischen Staatsanleihen und ihren chinesischen Pendants in den letzten zehn Jahren deutlich abgeschwächt hat, was chinesische Anleihen potenziell als Instrument zur Portfoliodiversifikation attraktiv macht.

Angesichts der niedrigen Inflation und des immer noch soliden BIP-Wachstums hat China seine Geldpolitik gelockert, während die Zentralbanken die ihrigen straffen. Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung Chinas und der meisten Industrieländer bedeutet, dass auch Anleihen zunehmend unkorreliert. sind Wie die obige Grafik zeigt, ist die historische Korrelation zwischen Staatsanleihen der USA und des Vereinigten Königreichs und ihren chinesischen Pendants in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken, was letztere zu einem potenziell attraktiven Diversifikator für Portfolios macht.

Eine gängige Behauptung über Kryptowährungen ist, dass sie „virtuelles Gold“ sind. In der Tat wurde Bitcoin ausdrücklich als Echo auf Gold konzipiert, von seinem begrenzten Angebot bis zu seiner Herstellung durch „Mining“. Bislang haben Kryptowährungen jedoch nicht annähernd die Stabilität erreicht, die Gold zu einem sicheren Hafen und Wertaufbewahrungsmittel machen. Gold entgeht auch dem Hauptrisiko von CBDCs - der Aussicht auf staatliche Eingriffe, sei es durch Abwertung oder Kontrollen wie zeitliche Begrenzungen oder Kaufbeschränkungen, die einige beim digitalen Yuan erwarten. Vor diesem Hintergrund ist es erwähnenswert, dass die Zentralbanken nach wie vor einen beträchtlichen Teil ihrer eigenen Reserven in Gold halten.
Man könnte jedoch sagen, dass die gesamte Währungsgeschichte ein Versuch ist, die Vorteile von Gold ohne seine Nachteile (Sicherheit und Lagerungsanforderungen) zu reproduzieren. Wie die vorangegangene Abbildung zeigt, war dieser Versuch nur beschränkt erfolgreich. Vor einem unsicheren und schwierigen makroökonomischen Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass sich die geopolitischen Spannungen wahrscheinlich nicht so bald abbauen werden, könnte Gold in Portfolios wieder an Relevanz gewinnen. Wie die nachstehende Abbildung zeigt, könnten Strategien, die zwischen Gold und Staatsanleihen wechseln, sogar noch mehr bieten.

Abbildung 2: Die Vorteile von Gold

Dieses Diagramm vergleicht Goldwerte in verschiedenen Währungen und zeigt dabei Schwankungen sowie die Werthaltigkeit von Gold auf.
Source: Bloomberg, Reuters

Diagrammbeschreibung: Dieses Diagramm zeigt die historischen Trends bei Goldtiteln gegenüber verschiedenen Währungen von 1920 bis 2020. Es bietet Einblicke in die langfristige Performance und Volatilität von Gold am globalen Markt. Es lässt sich feststellen, dass sich der Wert des Yen länger über Wasser gehalten hat als Währungen wie die Mark und die Reichsmark.

Abbildung 3: Eine Strategie, die zwischen Anleihen und Gold wechselt, liefert überdurch- schnittliche Renditen

 

Diagramm einer dynamischen Anlagestrategie

Diagrammbeschreibung: Dieses Kurvendiagramm illustriert eine dynamische Anlagestrategie, die wechselweise in Anleihen und Gold investiert, um höhere Renditen zu erzielen. Die x-Achse stellt den Zeitstrahl von 1920 bis 2020 dar und gibt den Zeitverlauf an. Die y-Achse spiegelt die Wertentwicklung oder Renditen der Anlagestrategie wider.

Der China-Komplex

Diese Sonderausgabe von Panorama ist China gewidmet und bietet eine umfassendere Sichtweise auf das Land aus der geopolitischen, nachhaltigen, wirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Perspektive.

Über den Verfasser
  • Barry Gill

    Head of Investments, UBS Asset Management

    Barry Gill, Head of Investments bei UBS Asset Management seit November 2019. Davor war er Head of Active Equities bei UBS AM. Barry Gill stieß 2012 zu O'Connor, wo er die Long/Short-Strategie verantwortete. Zuvor hatte er die Fundamental Investment Group (Nord-, Süd- und Mittelamerika) von UBS IB geleitet. 2000 wechselte Barry Gill in die USA, wo er nach der O'Connor-Übernahme die Long/Short-Aktienstrategie neu aufbaute. Er hatte Führungsrollen in London inne, wo er unter anderem Co-Leiter des Bereichs Pan-European Sector Trading war. Barry Gill begann seine Laufbahn 1995 nach dem Abschluss seines Hochschulstudiums als Trainee bei SBC.

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