Der Wert des Naturkapitals
Die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen wirft die Frage auf: Wird der Wert von Naturkapital heute in der Wirtschaftsplanung ausreichend berücksichtigt?
Wichtige Erkenntnisse:
Wichtige Erkenntnisse:
- Das Konzept des Naturkapitals (erneuerbare Ressourcen, endliche Ressourcen und Vorteile von Ökosystemen, wie z. B. Luft- und Wasserreinigung) betont die Interdependenz zwischen Umwelt, Gesellschaft und wirtschaftlichem Wohlstand.
- Die direkten Kosten für die Bewältigung von Naturkatastrophen steigen; Die realen Kosten – einschließlich entgangener Geschäfte, entgangener Steuereinnahmen oder in die Atmosphäre freigesetzter Treibhausgase – könnten jedoch viel höher sein. Natürliche Ressourcen und Ökosysteme sind nicht mehr selbstverständlich.
- Technologische Fortschritte, einschließlich des Einsatzes künstlicher Intelligenz, können die Früherkennung, Reaktion und Zuweisung von Ressourcen bei der Bekämpfung akuter Naturkatastrophen erheblich verbessern, was wiederum zum Erhalt des Naturkapitals, unseres wertvollsten Guts, beiträgt.
Am 7. Juni 2023 hüllte sich der Himmel über New York in ein apokalyptisches Orange, als bei den bislang zerstörerischen Waldbränden in Kanada grosse Waldgebiete niederbrannten und dichte Rauchschwaden über den USA und sogar Europa zogen.1,2 Mehrere Städte, darunter Chicago, Detroit und Minneapolis, verzeichneten eine weltweit beispiellose Verschlechterung ihrer Luftqualitätswerte. Zudem setzten die Waldbrände einen Rekordwert von 160 Millionen Tonnen an Kohlenstoffemissionen in die Atmosphäre frei.3 Die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen wirft die Frage auf, ob der Wert des Naturkapitals in der heutigen Wirtschaftsplanung ausreichend berücksichtigt wird.
Ineffizientes Management mit Naturkapital
Ineffizientes Management mit Naturkapital
Konventionelle Wirtschaftsmodelle tragen der unverzichtbaren Rolle der Natur in der Wirtschaft nicht angemessen Rechnung – und verkennen sogar teilweise die Tatsache, dass die Wirtschaft auf die Natur angewiesen ist. Von der Weltbank und dem Natural Capital Project entwickelte landwirtschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Modelle zeigen, dass die meisten Länder ihr Naturkapital aufgrund von Faktoren wie fehlgeleiteten Subventionen, unklaren Eigentumsrechten und unzureichendem Schutz kritischer Gebiete ineffizient nutzen. Die Unterbewertung des Naturkapitals und das Fehlen angemessener Preisbildungsmechanismen verschärfen das Problem weiter. Die Korrektur dieser Ineffizienzen und das Schliessen entsprechender Lücken bergen ein enormes Potenzial.4 Angesichts der Funktion von Ökosystemen als natürliche Kohlenstoffsenken könnten Länder zudem 78 Milliarden Tonnen Kohlenstoff binden, wenn sie Effizienzlücken schliessen würden. Das entspräche den globalen Emissionen aus fast zwei Jahren (siehe Abbildung 1, Erhöhung der CO2-Speicherung von 429 auf 507 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente). Dies würde dringend benötigte Zeit geben, um Dekarbonisierungsbemühungen voranzutreiben, ohne das Wirtschaftswachstum oder die Nahrungsmittelproduktion zu gefährden.5 Neue Regelwerke wie das System of Environmental-Economic Accounting (SEEA) der Vereinten Nationen6 sind für die Anerkennung von Naturkapital als Wirtschaftsgut massgeblich.
Abb. 1: Die globale Effizienzgrenze: Was die Welt erreichen kann
Was ist Naturkapital?
Was ist Naturkapital?
Der Begriff «Naturkapital» bezieht sich auf den Bestand an natürlichen Ressourcen und Ökosystemen, der in drei Hauptkategorien unterteilt werden kann:
- erneuerbare Ressourcen, die sich auf natürliche Weise regenerieren können, z. B. Wälder, Fischbestände und saubere Wasserquellen,
- nicht erneuerbare oder endliche Ressourcen wie fossile Brennstoffe (Kohle, Öl und Erdgas) und Mineralien und
- Ökosystemdienstleistungen, die von Ökosystemen erbracht werden, wie Luft- und Wasserreinigung, Klimaregulierung, Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit und natürlicher Hochwasserschutz.
Das Konzept des Naturkapitals erkennt den Wert der Natur über ihren intrinsischen Wert hinaus an und betont die Wechselbeziehung zwischen Umwelt, Gesellschaft und wirtschaftlichem Wohlstand.
Der wirtschaftliche Wert der Natur
Der wirtschaftliche Wert der Natur
Mit einer Wertschöpfung von rund USD 44 Billionen – mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) – die in gewisser Weise von der Natur abhängt, ist die Bedeutung der Natur für Unternehmungen weitaus höher als oftmals angenommen. Genauer gesagt wären 15% des globalen BIP (USD 13 Billionen) von einem Verlust von Ökosystemdienstleistungen stark betroffen, wobei 37% (USD 31 Billionen) des globalen BIP von moderat davon abhängigen Branchen erwirtschaftet werden. Ganz oben auf der Liste entsprechender Sektoren stehen das Baugewerbe (USD 4 Billionen), die Landwirtschaft (USD 2,5 Billionen) und der Bereich Lebensmittel und Getränke (USD 1,4 Billionen).7
Naturkapital:
44 Billionen GBP wirtschaftlicher Wert7
Über 50% des weltweiten BIP hängen von der Natur ab7
Der ökonomische Wert von Industrien, die stark von der Natur abhängig sind8, entspricht dem 2-fachen der deutschen Wirtschaft
Der Preis von Naturkatastrophen steigt
Der Preis von Naturkatastrophen steigt
Die Bewältigung der zunehmenden Naturkatastrophen wird immer kostspieliger. Die versicherten Schäden infolge von Naturkatastrophen weisen in den letzten Jahrzehnten mit einem jährlichen durchschnittlichen Wachstum von 5% bis 7% einen Aufwärtstrend auf.9 Der wirtschaftliche Gesamtverlust durch Naturkatastrophen belief sich 2022 weltweit auf USD 275 Milliarden, wobei 45% der Schäden bzw. USD 125 Milliarden versichert waren (siehe Abbildung 2).10
Abb. 2: Zunahme der versicherten Schäden durch Naturkatastrophen weltweit (Preise von 2022)
Die direkten Kosten der Bewältigung von Naturkatastrophen steigen in vielen Bereichen. Das zeigt sich beispielsweise an den jährlichen Ausgaben für die Brandbekämpfung in den USA, die seit den 1980er-Jahren um 8% pro Jahr stiegen.11 Der tatsächliche Schaden könnte jedoch weitaus grösser ausfallen, da entgangene Geschäfte, entgangene Steuereinnahmen und eine längere Wertminderung von Immobilien nicht ausreichend berücksichtigt werden.12 Treibhausgase (THG), die in die Atmosphäre freigesetzt werden, sind in den aktuellen Zahlen ebenfalls nicht enthalten. Die Freisetzung von gespeichertem Kohlenstoff aus brennenden Bäumen hebt den ohnehin schon erhöhten Kohlendioxidgehalt (CO2) in der Atmosphäre. Schätzungen gehen von einer deutlichen Zunahme der Waldbrände in Kanada und den USA aus. Die durch diese Ereignisse verursachten CO²-Emissionen bedrohen dementsprechend die globalen CO2 -Budgets. Bei den 160 Millionen Tonnen Kohlenstoff, die durch die Waldbrände im Juni 2023 in Kanada freigesetzt wurden, entspricht dies beispielsweise bezogen auf den Preis kalifornischer Emissionsgutschriften (USD 29.30 pro Tonne) einer Summe von USD 4,7 Milliarden bzw. von USD 15,8 Milliarden bezogen auf den europäischen Kohlenstoffpreis (EUR 88.24 pro Tonne).13
Der Multiplikatoreffekt des Klimawandels
Der Multiplikatoreffekt des Klimawandels
Die diesjährige Liste an schweren Hitzewellen und Dürren, Rekordwaldbränden, verheerenden Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen liest sich wie das Drehbuch für einen Science-Fiction-Katastrophenfilm – und das Jahr ist noch lange nicht vorüber. Betrachtet man das Beispiel der Waldbrände, so hat der Klimawandel günstige Bedingungen für solche Ereignisse geschaffen, da erhöhte Trockenheit oder Aridifizierung zu einem stärkeren «Durst» der Atmosphäre nach Wasser geführt hat. Entsprechend wird Feuchtigkeit von den Bäumen abgeleitet, wodurch sie anfälliger für Brände werden.
Eine Studie über die Waldbrände in Kalifornien zeigt den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Zunahme verbrannter Flächen auf und kommt zu dem Schluss, dass diese Flächen ohne die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen deutlich kleiner ausfallen würden. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels, um die verheerenden Auswirkungen von Waldbränden zu mindern. Tatsächlich deuten neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass rund 40% der Waldfläche, die in den letzten 40 Jahren im Westen der USA und im Südwesten Kanadas Bränden zum Opfer fiel, auf Kohlenstoffemissionen zurückzuführen sind, die mit den 88 weltweit grössten Erzeugern fossiler Brennstoffe und Zementfabriken zusammenhängen.14
Technologien für eine naturpositive Wirtschaft
Technologien für eine naturpositive Wirtschaft
Während Eigenheimbesitzer Massnahmen zur Senkung des Brandrisikos erwägen, z. B. feuerfeste Materialien auf Dächern,15 lautet die zentrale Frage: Welche Produkte können zum effizienteren Umgang mit Naturkapital beitragen?
Im Laufe der Geschichte hat Technologie immer wieder den wirtschaftlichen Wandel vorangetrieben und so Produktivität und Wachstum gesteigert. Technologische Fortschritte verschieben Grenzen und machen eine umfangreichere Bereitstellung ökonomischer und ökologischer Dienstleistungen mit denselben Ressourcen möglich.16 Der Einsatz von Technologie kann in zweierlei Hinsicht den Weg für eine naturpositive Wirtschaft ebnen. Erstens ermöglicht sie eine deutliche Verbesserung der Datenerfassung und -interpretation, die mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) neue Bereiche erschliesst. Durch die enorme Zunahme verfügbarer Daten bieten sich so neue Methoden zur Beurteilung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen landschaftlicher Veränderungen. Initiativen wie FireAId zeigen, wie KI die Vorhersage und Prävention von Waldbränden deutlich verbessern kann. Mithilfe von mehr als 400 Variablen aus 14 verschiedenen Datensätzen ermöglichen, KI-basierte Modelle bei der Vorhersage von Waldbränden eine Genauigkeit von 80% innerhalb von 24 Stunden vor Ausbruch.17
Zweitens können innovative Technologien die Ressourcennutzung in den relevantesten Branchen transformieren. Die Landwirtschaft, der Einzelhandel sowie der Dienstleistungs- und Energiesektor tragen erheblich zur Erschöpfung des Naturkapitals bei. Um dies einzudämmen, sind pflanzliche Alternativen, fortschrittliche Saatguttechnologie und die Reduzierung von Nahrungsmittelverlusten von entscheidender Bedeutung. McKinsey zufolge kann durch Anwendung regenerativer landwirtschaftlicher Praktiken eine Summe von insgesamt USD 65 Milliarden pro Jahr generiert werden. Darüber hinaus wird durch die Umstellung auf Solar- und Windkraft nicht nur der Verbrauch von endlichen Energieträgern reduziert, sondern auch Wasser gespart und die Nährstoffbelastung verringert, was einem jährlichen Wert von schätzungsweise USD 95 Milliarden entspricht. Das Management von Kunststoffabfällen durch Reduzierung, Recycling und alternative Liefermodelle kommt dem Einzelhandelssektor zugute. All diese Strategien fördern die Nachhaltigkeit und berücksichtigen gleichzeitig wirtschaftliche Faktoren.18
Konzertierte Anstrengungen zum Erhalt des Naturkapitals erforderlich
Konzertierte Anstrengungen zum Erhalt des Naturkapitals erforderlich
Angesichts der alles verändernden Auswirkungen des Klimawandels auf den Zustand unserer natürlichen Ressourcen und Ökosysteme ist es notwendig, den in der Vergangenheit als selbstverständlich angesehenen Dienstleistungen der Natur mehr Beachtung zu schenken. Lokal und global werden in den Volkswirtschaften die von der Natur erbrachten Dienstleistungen heute noch weitgehend unterbewertet – wenn sie überhaupt in die Bewertung einfliessen.
Das Beispiel der Waldbrände unterstreicht, wie dringend es ist, die Ursachen durch konzertierte Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, zum Erhalt von Ökosystemen und zur Einführung nachhaltiger Praktiken anzugehen. Technologie wird bei dieser grundlegenden Neuausrichtung der Weltwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Neue Technologien wie KI können die Früherkennung, Reaktion und Ressourcenallokation bei der Bekämpfung akuter Naturkatastrophen erheblich verbessern und damit den Erhalt des Naturkapitals unterstützen. Auch Anlegerinnen und Anlegern kommt bei der Erhaltung des Naturkapitals eine wichtige Rolle zu. Durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für Unternehmen, die Technologien zum Schutz natürlicher Ressourcen anbieten und die Offenlegung von naturbezogenen Daten fördern, tragen sie zur Sensibilisierung für die Berücksichtigung von Naturkapital in der Wirtschaftsplanung bei.
Soweit die vorliegenden Unterlagen Aussagen über die Zukunft enthalten, haben diese Aussagen Prognosecharakter und unterliegen verschiedenen Risiken und Unsicherheiten. Daher stellen sie keine Garantie für zukünftige Ergebnisse/Performance dar.
Die vorgenannten Personen führen regulierte Tätigkeiten nur in dem Land / den Ländern durch, in dem/ denen sie ordnungsgemäss lizenziert sind, sofern dies relevant ist.
Über den Verfasser
Holger Frey
CAIA, Senior portfolio manager, Thematic Equities
Holger Frey (FH, BSc, CAIA), Director, ist Lead Portfolio Manager für die Environmental Impact Equity-Strategie. Seit 2021 verstärkt er das Thematic Equity-Team. Von 2016 bis 2021 war er bei RobecoSAM in Zürich als Lead Portfolio Manager für eine Kreislaufwirtschaftsstrategie tätig. Holger begann seine Karriere 2004 als Finanzberater. 2006 wechselte er zur Deutschen Asset and Wealth Management, wo er sich ab 2008 auf die Bereiche Ernährung, Wasser und Umwelttechnologie konzentrierte und zum Lead Portfolio Manager für die Wasserstrategie des Unternehmens wurde. Holger hat einen Dipl.-Inf. (FH) Studium der Informatik und Medien an der Hochschule Fulda und Bachelor in Musikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Er ist CAIA-Charterholder.
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