Prof. Dr. Rober Riener
Ordentlicher Professor für sensomotorische Systeme am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie (D-HEST) der ETH Zürich

Wichtige Erkenntnisse

  • Mithilfe von KI und maschinellen Lerntechnologien werden Geräte und Innovationen entwickelt, die Menschen bei der Überwindung von körperlichen Verletzungen und Behinderungen helfen können.
  • Die Entwicklung von tragbaren Systemen, der Versuch, Hilfsmittel so intelligent zu machen, dass sie wissen, wie sich der Mensch bewegt, und der Einsatz von Echtzeit-Intelligenz zur Vorhersage der nächsten Bewegungen des Patienten sind Beispiele für die wichtigsten Trends in der heutigen Rehabilitationstechnologie.
  • ArmeoPower ist das erste Exoskelett-Gerät, das das intensive Training und die Rehabilitation eines gelähmten Arms unterstützt.
  • Durch die Anwendung evidenzbasierter Methoden statt erfahrungsbasierter Methoden können Therapeuten bessere Ergebnisse für Patienten sicherstellen.

        Das Potenzial künstlicher Intelligenz (KI), bahnbrechende Vorteile zu bieten, ist nicht auf den digitalen Bereich beschränkt. KI- und maschinelle Lerntechnologien werden von Forschern zunehmend eingesetzt, um Geräte und Innovationen zu entwickeln, die Menschen bei der Überwindung von körperlichen Verletzungen und Behinderungen helfen können. Robert Riener ist Professor für sensomotorische Systeme am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich. Professor Riener forscht auf dem Gebiet der Neuroprothetik und hat Roboter und Interaktionsmethoden für das motorische Lernen in Rehabilitation und Sport entwickelt. Vor mehr als zehn Jahren entwickelte er das Arm-Exoskelett ArmeoPower, das den Genesungsprozess nach einem Schlaganfall beschleunigt. Derzeit hat er mehr als 500 von Fachleuten begutachtete Zeitschriften- und Konferenzartikel veröffentlicht und 26 Patente angemeldet. Wir sprachen mit Professor Riener darüber, wie die Technologie Menschen mit neuromuskulären Verletzungen und körperlichen Behinderungen hilft.

        Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation1 sind 16 % der Weltbevölkerung in irgendeiner Form von einer schweren Behinderung betroffen. In welchen Bereichen werden die Entwicklungen in der Bio-Mechatronik und Informatik/KI Ihrer Meinung nach die größten Auswirkungen haben?

        In der Rehabilitationstechnik und der Robotik erleben wir derzeit große Fortschritte bei der Entwicklung von Einzelkomponenten. Dazu gehören bessere Batterien und bessere Motoren, die mit weniger Energie mehr Kraft erzeugen können. Gleichzeitig verfügen wir auch über eine bessere Rechenleistung – neue Algorithmen sowie Deep-Learning- und andere maschinelle Lerntechnologien. Die Herausforderung besteht nun darin, diese großartigen Komponenten mit komplexen technischen Systemen zu kombinieren, die in der Lage sind, bessere technische Hilfe zu leisten – zum Beispiel bei der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und beim Rehabilitationsprozess in klinischen Umgebungen.

        Einer der wichtigsten Trends auf dem Gebiet der Rehabilitationstechnologie ist die Entwicklung von tragbaren Systemen, so dass die Menschen die zur Unterstützung benötigte Technologie mitführen können. Dafür braucht es jedoch mobile Komponenten, die leicht und nicht sperrig sind und die nicht mit einem Kabel an eine Steckdose angeschlossen werden müssen. Wir brauchen Batterien mit ausreichender Kapazität.

        Welche Rolle spielt das neuromuskuloskelettale System dabei, wie sich der Mensch bewegt und mit der Welt interagiert – und was passiert, wenn Elemente des Systems versagen?

        Es ist ein komplexes System, das es unserem Körper ermöglicht, Bewegungen auszuführen oder zu kommunizieren – zu sprechen und zu hören. Wir brauchen unsere Augen und die Rezeptoren in unseren Muskeln, Sehnen und Gelenken. Außerdem brauchen wir das Gleichgewichtsorgan in unseren Ohren, um unser Gleichgewicht zu halten, und wir brauchen unser Antriebssystem – die Muskeln selbst. Um dann die sensorischen Informationen von unseren Rezeptoren mit den Muskeln zu kombinieren, brauchen wir eine Art Bewegungsintelligenz: unser Gehirn und unsere Erfahrung oder unser Gedächtnis. Wenn jedoch eine dieser Komponenten fehlt oder nicht richtig funktioniert, wird es nicht möglich sein, erfolgreiche, funktionelle und sinnvolle Bewegungen auszuführen.

        Wie hilft dieses Verständnis, wie Menschen Bewegungen ausführen und kontrollieren, dabei, Verletzungen zu vermeiden oder verlorene motorische Funktionen wiederherzustellen?

        Wir müssen verstehen, wie sich ein gesunder Mensch bewegt, um einen Apparat zu entwickeln, der den Verlust von Bewegungsfunktionen kompensieren kann. Hier kommen Hilfsmittel zum Einsatz.

        Wir müssen die Geräte nicht nur intelligent genug machen, um zu wissen, wie sich Menschen bewegen, sondern wir brauchen auch Echtzeit-Intelligenz. Damit meine ich, dass die Geräte verstehen können, was die Person zu tun versucht – sei es, aufzustehen, zu gehen oder zu sprechen – und in diesem Moment die entsprechende Unterstützung leisten. Daher brauchen wir effektive Sensoren und ein hohes Maß an Maschinenintelligenz.

        Wir müssen die Geräte nicht nur intelligent genug machen, um zu wissen, wie sich Menschen bewegen, sondern wir brauchen auch Echtzeit-Intelligenz.

        Wir haben weitere Projekte in unserem Labor, bei denen wir das Verhalten und die physiologischen Funktionen von Patienten den ganzen Tag über mehrere Tage hinweg überwachen. Wir überwachen zum Beispiel, wie lange sie im Rollstuhl sitzen, wie lange sie schlafen und wann sie essen. Wir messen, wie lange sie fernsehen oder eine Art von Para-Sport betreiben und zeichnen dabei auch Herz- und Atemfunktionen auf. Ziel der Erfassung dieser Aktivitäten ist es, das Risiko dieser Personen, bestimmte Symptome zu entwickeln, besser zu verstehen.

        Wenn Menschen beispielsweise zu lange sitzen oder sich zu wenig bewegen, können sie Dekubitus-Geschwüre – Druckgeschwüre am Gesäß – entwickeln, die sehr schwer zu behandeln sind. Oder sie können ein Ungleichgewicht im Herz-Kreislauf-System entwickeln, das zu sehr hohen und lebensbedrohlichen Blutdruckspitzen führen kann. Durch die Überwachung des Verhaltens und der Physiologie eines Patienten sind wir manchmal in der Lage, diese Probleme zu erkennen, bevor es die Patienten selbst oder ihre Ärzte tun – und indem wir ein Problem in einem früheren Stadium vorhersagen, haben wir eine bessere Chance, es zu verhindern.

        Sie waren an der Einführung von ArmeoPower beteiligt, dem weltweit ersten kommerziell erhältlichen Roboterarm-Exoskelett für die Neurorehabilitation. Wie hat es die Arm- und Handtherapie revolutioniert, und was waren die größten Herausforderungen, denen Sie während des Entwicklungsprozesses gegenüberstanden?

        ArmeoPower war das erste Exoskelett-Gerät, das das intensive Training und die Rehabilitation eines gelähmten Arms unterstützte – ein Problem, das bei Schlaganfallpatienten häufig auftritt. Es ermöglicht sowohl eine größere Anzahl als auch ein schnelleres Tempo von Wiederholungen als ein menschlicher Therapeut bewältigen kann. ArmeoPower ersetzt den Therapeuten nicht, sondern hilft ihm, das Training schneller und intensiver durchzuführen, was zu besseren Ergebnissen für die Patienten führt.

        ArmeoPower ersetzt den Therapeuten nicht, sondern hilft ihm, das Training schneller und intensiver durchzuführen.

        Ein weiterer wichtiger Aspekt des Designs ist, dass wir den Roboter ansprechbar gemacht haben: Er kann verstehen, wie viel Muskelkraft der Patient zu einer bestimmten Bewegung beitragen kann. Der Roboter leistet dann nur das erforderliche Minimum an Unterstützung. Der Gedanke dabei ist, dass die Patienten faul werden würden, wenn der Roboter alles machen würde, und der Lernfortschritt gering wäre. Wir haben auch Gamification-Strategien entwickelt, bei denen Spiele und Virtual Reality eingesetzt werden, um die Motivation zu erhöhen, das möglicherweise sehr anstrengende und langweilige Training zu absolvieren.

        Die Neurorehabilitation spielt eine wichtige Rolle in der Patientenversorgung. Doch wie können Spezialisten für Neurorehabilitation optimale Ergebnisse für die Patienten sicherstellen?

        Es ist wichtig, dass Therapeuten evidenzbasierte statt erfahrungsbasierter Methoden anwenden. Erfahrungsbasiert bedeutet, dass das Wissen des Therapeuten isoliert und subjektiv ist. Mit evidenzbasierten Methoden haben wir ein gewisses Maß an Vertrauen, dass die in einer bestimmten Therapie verwendeten Geräte oder Hilfsmittel nicht nur für einzelne Patienten, sondern für die Mehrheit der Patienten nützlich und funktional sind. Evidenzbasierte Methoden sind in der pharmazeutischen Industrie bereits üblich, wo Medikamente an Tausenden von Patienten getestet werden.

        Außerdem ist es wichtig, dass Wissenschaftler mit Therapeuten sprechen, um sie über Innovationen und mögliche therapeutische Verbesserungen zu informieren. Gleichzeitig sollten wir aber auch den Therapeuten zuhören, um ihre Probleme mit den Patienten und ihre eigene, oft anstrengende Arbeit zu verstehen. Wir brauchen einen Dialog zwischen den Bedürfnissen der Patienten, wie sie von den Therapeuten zum Ausdruck gebracht werden, und den technischen Methoden. Nur so können wir die geeignetsten und wirksamsten Lösungen finden. Oft glauben Ingenieure, sie wüssten die Lösungen, während Therapeuten meinen, sie könnten Probleme mit den Methoden lösen, die sie schon immer angewendet haben. Es muss jedoch eine Offenheit für neue Ideen bestehen, und dies erfordert, dass beide Seiten miteinander sprechen, bevor sie ein neues Projekt oder eine Innovation in Angriff nehmen.

        Cybathlon, das einzigartige Non-Profit-Projekt der ETH Zürich, das Teams zur Entwicklung von unterstützenden Technologien herausfordert, findet im Oktober in Kloten (Schweiz) statt (sowie in Zentren weltweit). Was hat Sie dazu bewogen, Cybathlon zu starten?

        Meine anfängliche Inspiration für Cybathlon war, dass die heutigen Hilfstechnologien nicht funktional genug sind und daher auch nicht gut angenommen werden. So können Rollstühle in der Regel keine Treppen steigen, keine Bordsteinkanten überwinden und auch nicht über unebenes Terrain im Wald fahren. Es ist nach wie vor schwierig, eine Prothese mit einem Bein oder einem Arm zu verbinden, und elektrische Prothesen sind kompliziert: Ihre Batterien haben nicht genügend Kapazität und müssen nach vielleicht vier Stunden Gebrauch wieder aufgeladen werden. Beinprothesen werden in der Regel nicht elektrisch angetrieben, aber wenn man eine Treppe oder eine Steigung hinaufgehen will, braucht man etwas Kraft, um die erforderliche Energie aufzubringen und gleichzeitig einen effizienten und symmetrischen Gang zu gewährleisten.

        In diesem Bereich sind also noch viele Verbesserungen notwendig, und das hat mich auf die Idee für Cybathlon gebracht – Menschen zu animieren und Teams zu inspirieren, besser funktionierende Technologien zu entwickeln. Die Veranstaltung ist nicht wie die Paralympics, bei denen die Athleten in kürzester Zeit eine bestimmte Distanz zurücklegen oder die schwersten Gewichte heben müssen. Wir haben reale Herausforderungen, z. B. eine Armprothese zu verwenden, um ein Glas Marmelade zu öffnen, dann ein Laib Brot zu schneiden und es zu buttern.

        Was war Ihre ursprüngliche Inspiration für die Arbeit in der Robotik?

        Ich werde oft von Journalisten gefragt, ob es in meiner Familie eine Tragödie gegeben hat – aber das war zum Glück nicht der Fall. Der Auslöser war wahrscheinlich die Faszination für Technik. Mein Vater war Kfz-Mechaniker in München und gleichzeitig liebte ich immer die Medizin und den menschlichen Körper. Deshalb habe ich die beiden Themen kombiniert. Zunächst ein Maschinenbaustudium und dann der Einstieg in den Bereich Medizin und Rehabilitation. Mein Ziel war es, andere glücklich zu machen – nicht nur, indem ich Patienten zu mehr Mobilität verhalf, sondern auch, indem ich Veranstaltungen organisierte oder Aspekte unserer Forschung entwickelte, die Menschen unterhalten konnten.

        Über den Verfasser

        Robert Riener ist ordentlicher Professor für sensomotorische Systeme am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie (D-HEST) der ETH Zürich. Seit Mai 2003 ist er Assistenzprofessor für Rehabilitationstechnik an der ETH Zürich. Im Juni 2006 wurde er zum außerordentlichen Professor und im Juni 2010 zum ordentlichen Professor befördert. Zudem ist er als ordentlicher Professor für Medizin im Zentrum für Rückenmarksverletzungen des Universitätsklinikums Balgrist (Universität Zürich) tätig. Robert Riener studierte Maschinenbau an der TU München und an der Universität Maryland, USA. 1993 erwarb er den Titel Dipl.-Ing. und 1997 den Doktortitel an der TU München. Riener entwickelt Roboter und Interaktionsmethoden für das Bewegungslernen in Rehabilitation und Sport. Riener ist Begründer des Cybathlon, der mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. 2018 erhielt Riener die Ehrendoktorwürde der Universität Basel.

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