Kevin Russell
CIO O’Connor

Kurz vor August würden wir nur allzu gerne das schwierige gesamtwirtschaftliche Umfeld vom 1. Halbjahr 2022 hinter uns lassen, das nicht nur die Beta-Performance von Aktien, Unternehmensanleihen und langlaufenden Fixed-Income-Anlagen, sondern auch die fundamentalen Relative-Value-Strategien schwer belastet hat, die unserem Multi-Strategie-Ansatz zugrunde liegen.

Das soll gleichwohl nicht heissen, dass der Markt für die vielen Verwerfungen in der Gesamtwirtschaft – darunter die Inflation, die Straffung der Geldpolitik, Störungen der Lieferketten und der Rohstoffmärkte sowie Belastungsfaktoren für das Wachstum –, denen die Anleger ausgesetzt sind, eine Lösung hat. Vielmehr wissen die Marktteilnehmer vollständig um diese Risiken und haben sie weitestgehend eingepreist. Mit Blick auf alternative Anlagen erwarten wir, dass sich zwischen der ersten und zweiten Jahreshälfte 2022 eine recht deutliche Weggabelung abzeichnen wird. Das 1. Halbjahr 2022 war übermässig von der Gesamtwirtschaft geprägt, und die Erträge wurden vorwiegend durch Makro- sowie quantitative und systematische Strategien bestimmt. Im 2. Halbjahr 2022 dürften die Risiken ausgewogener und die Trends weniger werden, während sich die Volatilität in der Gesamtwirtschaft voraussichtlich abschwächen wird. Fundamental orientierte Anleger und Unternehmen werden beginnen, ihre Portfolios, Geschäftsbereiche und Kapitalstrukturen proaktiv zu verwalten, sodass herausragende Alpha-Chancen für Relative-Value-Strategien entstehen.

Wie wir Anlegern gegenüber immer wieder deutlich machen, sind fundamentale Relative-Value-Strategien bei nahezu jeder Marktlage nachhaltig. Allerdings können sie auf Phasen verringerter Risikobereitschaft und rascher Veränderungen des wirtschaftlichen und politischen Umfelds empfindlich reagieren. Positiv jedoch ist, dass aus diesen Phasen der Risikoscheu häufig ein beträchtliches Alpha-Potenzial hervorgeht. Bei O’Connor wächst die Zuversicht, dass unsere Anleger in der zweiten Jahreshälfte 2022 genau von einem solchen Potenzial profitieren können.

Zinsvolatilität

Die Anleger kennen die grundlegende Überzeugung von O’Connor, wonach die Zinsvolatilität den wichtigsten Indikator darstellt, um die Risikoscheu in Verbindung mit raschen Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Anlagelandschaft zu überwachen, inzwischen nur allzu gut. Ein Blick auf diesen Indikator in der ersten Jahreshälfte 2022 belegt unmissverständlich die aufkommende und hartnäckige Risikoscheu, die die Performance über die meisten Anlagemärkte und Relative-Value-Strategien hinweg so stark beeinträchtigt hat.

Abb. 1: Wir sehen erste Anzeichen dafür, dass sich die Zinsvolatilität möglicherweise normalisiert

Merrill Lynch Option Volatility Estimate (MOVE) Index 2022

Daily price of the Merrill Lynch Option Volatility Estimate Index in 2022, find longer description below
Quelle: UBS Asset Management, Bloomberg. Daten per 20. Juli 2022.

Wir sehen erste Anzeichen dafür, dass sich die Zinsvolatilität möglicherweise normalisiert. Das Liniendiagramm zeigt den letzten Tageskurs des Merrill Lynch Option Volatility Estimate (MOVE) Index vom 1. Januar 2022 bis zum 20. Juli 2022. Es belegt, dass die Volatilität im letzten Monat zu sinken begann.

Gleichwohl zeigt ein genauerer Blick auf dieselbe Abbildung, dass die frühen Anzeichen einer Normalisierung gegen Ende Juni und in den Juli hinein zu erkennen waren. Anleger, die nach konkreteren Beweisen für diese Normalisierung suchen, sollten die Verbraucherpreisinflation (VPI) für Juni und Juli und die damit verbundene Veränderung der 10-jährigen Renditen beachten. Der VPI-Bericht vom 10. Juni mit einer Zunahme von 8,6% gegenüber dem Vorjahr löste einen mehrtägigen Anstieg der Renditen um stattliche 50 Bp. aus. Dagegen zog ein VPI-Bericht vom 13. Juli mit einem Zuwachs von 9,1% gegenüber dem Vorjahr einen mehrtägigen Anstieg der Renditen von weniger als 10 Bp. nach sich.

Für die Anleger bedeutet dies schlicht, dass die Normalisierung der Zinsvolatilität signalisiert, dass das Spektrum der potenziellen Folgen für Wirtschaft und Politik vom Markt allmählich eskomptiert wird. Auch wenn wir uns wünschen würden, dass die Zinsvolatilität um weitere 30% bis 40% nachlässt, bevor wir diesen Paradigmenwechsel für abgeschlossen betrachten, sind wir nicht der Auffassung, dass sich ein deutlich besseres Umfeld für Relative-Value-Strategien nur dann abzeichnet, wenn die Spanne der Zinsvolatilität wieder so niedrig wird wie zuvor.

Anlegerpositionierung und Psychologie

Wir sind fest überzeugt, dass Anleger durch die BofA Global Fund Manager Survey ein möglichst umfassendes Bild der Positionierung institutioneller Anleger und psychologischer Aspekte erhalten. In dieser Hinsicht war die Erhebung von Juli besonders aufschlussreich. Unabhängig davon, welche Aspekte der Erhebung analysiert werden, verweist das gesamte Spektrum von Wachstumsoptimismus über Gewinnerwartungen bis zur Cash-Positionierung in Portfolios darauf, dass sich unter institutionellen Anlegern inzwischen extremer Pessimismus breitgemacht hat.

Tatsächlich fiel die gesamte Erhebung so extrem aus, dass es uns schwerfiel, die Positionierung der Anleger anhand eines einzigen Beispiels aufzuzeigen. Letztlich jedoch zogen wir die Abbildung heran, der zufolge der prozentuale Anteil der Anleger, deren Risiko über dem Normalwert liegt, auf ein Rekordtief von -58% gefallen ist. Anders gesagt: 58% aller Anleger gehen ein unterdurchschnittliches Risiko ein – so viele wie noch nie seit Bestehen der Erhebung und mehr als auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise und der Lehman-Pleite.

Abb. 2: 58% der befragten Fondsmanager gaben an, dass ihr Risiko unter dem Normalwert liegt.

Damit ist die Risikobereitschaft so niedrig wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr.

Umfrage des Global Fund Managers der Bank of America zu den Risikoniveaus finden Sie unten eine längere Beschreibung
Quelle: Bank of America Global Research, «I’m so Bearish, I’m Bullish», 19. Juli 2022. Global Fund Manager Survey mit Genehmigung reproduziert.

58% der befragten Fondsmanager gaben an, dass ihr Risiko unter dem Normalwert liegt. Damit ist die Risikobereitschaft so niedrig wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr. Liniendiagramm mit den Antworten von Fondsmanagern, die die Frage der Global Fund Manager Survey der Bank of America beantwortet haben, ob sie ihr Risiko im Vergleich zum vorigen Zeitraum erhöhen oder senken. Mit 58% hat der Anteil der Fondsmanager, die ein unter dem Normalwert liegendes Risiko eingehen, ein Rekordhoch erreicht.

Strategien für die zweite Jahreshälfte 2022

Auch wenn wir mit Blick auf unsere Strategien für die zweite Jahreshälfte 2022 weitgehend zuversichtlich sind, halten wir zwei Strategien für besonders vielversprechend: Convertibles/Capital Structure und Merger Arbitrage, die beide zu den Anlageschwerpunkten von O’Connor gehören. Wir haben schon viele Marktzyklen Ereignisse erlebt, die zu einem Risikoabbau führten, in deren Rahmen diese beiden Strategien attraktive Ergebnisse erzielten. Mit diesen beiden Strategien im Hintergrund sehen wir umfassende Verringerungen des Risikos zumeist gelassen.

Wandelanleihen günstiger

Wandelanleihen zählen zu den komplexesten Produkten für Anleger, enthalten sie doch Bestandteile von Aktien, Unternehmensanleihen, Zinsen und Derivaten, die den Fair Value beeinflussen. Um den Fair Value im Laufe der Zeit besser überwachen zu können, ziehen wir häufig den Jefferies Fair Value Tracker für globale Wandelanleihen heran, der einen langfristigen und einheitlichen Rahmen für die Einschätzung der Bewertungen bietet. Das problematische allgemeine Risikoumfeld erklärt zu einem gewissen Teil, warum Wandelanleihen so günstig geworden sind. Dennoch ist es für uns überraschend und unlogisch, dass Wandelanleihen inzwischen im selben günstigen Bereich wie in der COVID-Pandemie im Frühling 2020 verharren.

Abb. 3: Jefferies Fair Value Tracker

Europa verbucht neue Tiefs …

Fair Value für Wandelanleihen 2017 bis 2022, siehe längere Beschreibung unten
Quelle: Jefferies Research. Daten per 22. Juli 2022. Mit Genehmigung reproduziert.

Jefferies Fair Value Tracker. Liniendiagramm, das den Fair Value von Wandelanleihen abbildet, der Grössen für Zinsen, Kreditspreads, Aktienkurse und die Volatilität des Basiswerts beinhaltet. Bildet Europa, Japan, Asien ohne China und die USA von 2017 bis Juli 2022 ab.

Von Bedeutung ist, dass wir den Markt für Wandelanleihen für deutlich günstiger halten als dieser Fair Value Tracker nahelegt, wenn die positive Wirkung günstiger Dollar-Kurse berücksichtigt wird, von der zahlreiche Papiere am Wandelanleihenmarkt gekennzeichnet sind. Diese günstigen auf USD lautenden Bonds sind das Ergebnis der kombinierten Wirkung, die günstigere Aktienkurse, weitere Kreditspreads und höhere Zinsen am Markt für Wandelanleihen nach sich gezogen haben. Wenngleich zahlreiche Hedge Funds um den höheren Kreditanteil dieser Anleihen einen Bogen machen, favorisieren wir dieses Risikoprofil und sind der Auffassung, dass günstige Dollar-Kurse für eine beträchtliche und asymmetrische Optionalität der zugrunde liegenden Unternehmensanleihen sorgen. Niedrige Dollar-Kurse senken das Jump-to-Default-Risiko, bieten jedoch dasselbe Durationsengagement und ein wesentlich besseres Auszahlungsprofil bei Kapitalmassnahmen als zum Nennwert bewertete Anleihen. Wenn wir auf unsere kollektive Erfahrung mit dem Handel von Kreditprodukten im Allgemeinen und Wandelanleihen im Besonderen zurückblicken, kommen wir eindeutig zu dem Ergebnis, dass dies zu den attraktivsten Risikoprofilen an den Finanzmärkten überhaupt gehört.

Auch wenn wir mit Blick auf unsere Strategien für die zweite Jahreshälfte 2022 weitgehend zuversichtlich sind, halten wir zwei Strategien für besonders vielversprechend: Convertibles/Capital Structure und Merger Arbitrage.

Merger-Arbitrage-Spreads weiten sich aus

Merger Arbitrage zählt zu den ursprünglichen Strategien von O’Connor. Folglich erkennen wir, dass die jüngste Ausweitung der Spreads einem bekannten Muster folgt. Das sich eintrübende gesamtwirtschaftliche Umfeld setzt die Bewertungen am Aktienmarkt unter Druck und führt zu einer gewissen Reue der Käufer, die mit einer wachsenden Angst vor Kreditverlängerung infolge höherer Renditen und weiterer Kreditspreads einhergeht. Diese Faktoren drücken die Spreads noch weiter auseinander, während Risikomanagementprozesse dann technische Verkäufe auslösen, die wiederum weiteren Druck auf die Spreads ausüben. Damit schliesst sich der Teufelskreis, dem wir in der Vergangenheit häufig getrotzt haben.

Abb. 4: Die annualisierten Merger-Arbitrage-Spreads lagen am 15. Juli 2022 bei einem Median von 10,6% – gegenüber 8,9% am 8. Juli 2022

Annualisierter Spread (0%–50%)

Annualisierte Spreads für angekündigte Fusionen von 2021 bis 2022, siehe längere Beschreibung unten
Quelle: UBS Special Situations, Bloomberg. Daten per 15. Juli 2022.

Die annualisierten Merger-Arbitrage-Spreads lagen am 15. Juli bei einem Median von 10,6% – gegenüber 8,9% am 8. Juli. Liniendiagramm, das die annualisierten Spreads angekündigter Fusionen von Juli 2021 bis Juli 2022 abbildet.

Bedeutenderweise halten wir die aktuelle Lage für nichts anderes als einen normalen, wenn auch langwierigen Risikoabbauzyklus. Folglich haben wir das Risiko im Zuge der Schwäche im 2. Quartal erhöht. Tatsächlich beinhalten Fusionsvereinbarungen alle Risikoarten und sind generell so strukturiert, dass die Deals abgeschlossen werden, sofern sich im Geschäft des Zielunternehmens keine aussergewöhnliche und deutlich ungünstige Veränderung abzeichnet.

Wir sind zuversichtlich, dass die jüngste Schwäche eine hervorragende Gelegenheit bietet, um das Engagement zu erhöhen, und ein gut verwaltetes und diversifiziertes Portfolio wie unseres im weiteren Verlauf von 2022 ein attraktives Risiko-Ertrags-Profil aufweisen wird. Zu beachten ist, dass wir uns in dem Wissen in Merger Arbitrage engagieren, dass Deals platzen und sich Spreads ausweiten können. Unsere Portfoliokonstruktion und unser Risikospektrum sind ausdrücklich dafür ausgelegt, in solchen Märkten zu bestehen.

Das 2022 bislang übermässig von der Gesamtwirtschaft geprägte Umfeld hat Herausforderungen für unsere Relative-Value-Strategien geschaffen. Und der allgemeine Risikoabbau an den Aktien-, Kredit- und Anleihenmärkten war ein anhaltender Belastungsfaktor. Eine Reaktion auf die erste Jahreshälfte 2022 würde beinhalten, dass O’Connor versucht, mehrere der Makro- und systematischen Strategien, die bislang scheinbar den Grossteil der Erträge im alternativen Segment erzielt haben, einzusetzen. Gleichwohl hat sich O’Connor recht bewusst für unsere Strategien Core Long/Short Equity, Credit Relative Value und Global Event Driven entschieden. Nach unserer Einschätzung wachsen die Synergien, Erträge und das Korrelationsprofil dieses Strategiemixes im Laufe der Zeit und über Marktzyklen hinweg zu einer attraktiven Lösung für Anlegerportfolios zusammen.

Wir sind von unseren Strategien und unserem Ansatz überzeugt. Zudem meinen wir, dass sich die Marktlandschaft wesentlich zu unserem Vorteil verändert hat, und erwarten, dass diese auf Fundamentaldaten ausgerichteten Relative-Value-Strategien andere Disziplinen und Beta-Indizes in der zweiten Jahreshälfte 2022 auf Risiko-Ertrags-Basis übertreffen.

Bevor ich schliesse, möchte ich Ihnen gegenüber nochmals betonen, wie stolz mich meine Arbeit mit dem O’Connor-Team im Laufe der letzten sieben Jahre gemacht hat. Wie letzte Woche bekannt gegeben wurde, habe ich mich entschlossen, von meiner Funktion als Leiter von O’Connor und CIO des Multi-Strategie-Fonds zurückzutreten und das Unternehmen gegen Ende des Jahres zu verlassen.

Ich übergebe den Stab an Blake Hiltabrand, meinen Nachfolger als Leiter von UBS O’Connor, sowie an Bernie Ahkong und Casey Talbot, die per 1. Oktober 2022 Co-CIOs unseres Flaggschiff-Portfolios Global Multi-Strategy werden. Um einen reibungslosen Übergang und die Kontinuität für unsere Anleger sicherzustellen, werde ich mit ihnen und der Führungsriege von O’Connor eng zusammenarbeiten.

Ich bin mir sicher, dass ich eine leistungsfähige globale Plattform und ein eingespieltes Führungsteam hinterlasse, das gut aufgestellt ist und sich darauf freut, unsere bewährte Strategie umzusetzen und das Geschäft weiterzuentwickeln. Vielen Dank für Ihre Unterstützung und das entgegengebrachte Vertrauen!

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