Was ist ein Schwellenland?

Schwellenländer sind eine heterogene Gruppe, die Märkte in Asien, Lateinamerika und der Region Europa, Nahost und Afrika umfasst. In Bezug auf Aktien identifiziert MSCI 24 Schwellenländer, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 1382 Unternehmen und eine Marktkapitalisierung von rund USD 6,4 Bio. aufweisen.


Während keine Definition alle Schwellenländer abdeckt, zeichnet sich diese Gruppe durch eine Kombination bestimmter Merkmale aus, darunter weniger entwickelte Finanzmärkte, schwächere Institutionen und volatilere Konjunkturzyklen. Das bedeutet, dass Anlegerinnen und Anleger eine grössere Volatilität und ein höheres Risiko in Kauf nehmen müssen, um an der Entwicklung dieser Märkte zu partizipieren. Doch unseres Erachtens ist ein ausgewogenes Portfolio ohne Allokation in Schwellenländern nicht vollständig, sowohl aufgrund des hohen Renditepotenzials als auch wegen der Diversifikationsvorteile.


Warum ist die Anlage in Schwellenländern sinnvoll?
Eine Definition von Schwellenländern und Frontiermärkten sieht manchmal wie eine lange Liste von Nachteilen aus. Die institutionelle Qualität und die Liquidität sind geringer, während die politischen Risiken grösser sind. Das bedeutet normalerweise, dass die Anlageklasse eine höhere Volatilität aufweist. Der MSCI Emerging Markets Index verzeichnete in den letzten 20 Jahren eine annualisierte Volatilität von durchschnittlich 21,5% – der MSCI World Index für Industrieländer hingegen nur 15,4%. Auch Staatsanleihen und Unternehmensanleihen aus Schwellenländern sind volatiler. Warum also sollten Anleger Schwellenländer in ihr Portfolio aufnehmen?


Diversifikation: Schwellenländer sind ein wesentlicher Bestandteil der Weltwirtschaft. Die Konjunkturzyklen der Schwellenländer stimmen jedoch nicht vollständig mit denen der Industrieländer überein. Beispielsweise entwickelt sich die Geldpolitik in China normalerweise nicht im Gleichschritt mit der US-Notenbank Fed, und die Konjunkturzyklen sind nicht ganz synchron. Auch die treibenden Kräfte der Wirtschaft und der Märkte Chinas unterschieden sich in den letzten Jahren von denen der Industrieländer: So wurde die Regulierung für Unternehmen im Jahr 2021 verschärft, während die Covid-19-Beschränkungen länger andauerten und im Grossteil des Jahres 2022 fortbestanden. Unter dem Strich bedeutet das, dass die Aufnahme von Schwellenländern in ein Portfolio Diversifikationsvorteile bietet. Der MSCI China erholte sich zum Beispiel von einem Tiefpunkt im 4. Quartal 2022 bis Anfang Februar um über 50%, während der MSCI World um nur 20% zulegte.


Höhere Renditen: Schwellenländer weisen in der Regel ein schnelleres Wirtschaftswachstum auf, da sie Best Practices, Technologien und politische Initiativen einsetzen können, die sich in Industrieländern bereits bewährt haben, um ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. So wuchs die Wirtschaftsleistung in Industrieländern nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds im Jahr 2022 um 2,7%, in Schwellenländern hingegen um 3,9%. Asiatische Schwellenländer schnitten mit einem Wachstum von 4,3% sogar noch besser ab. Mehrere grosse Schwellenländer haben sich inzwischen selbst zu Innovationszentren entwickelt – insbesondere Festlandchina, Taiwan und Südkorea, die aufblühende Technologiesektoren aufweisen.


Die Zinsen tendierten in diesen Regionen im Verlauf der Jahre niedriger, weil diese Volkswirtschaften immer besser gesteuert werden und die Inflation einen Abwärtstrend aufweist, was für die Renditen von Schwellenländeranleihen günstig ist. Die 20-Jahres-Durchschnittsrendite auf Staatsanleihen der Schwellenländer in USD betrug 6,4% (mit einer Volatilität von 8,7%) gegenüber 2,8% auf ihre Pendants der Industrieländer (basierend auf dem Bloomberg Global Aggregate). Über eine Anlagedauer von 20 Jahren erzielten Anleger mit Schwellenländeranleihen doppelt so hohe Renditen wie Anleger, die sich auf Industrieländerwerte beschränkten. Unserer Meinung nach werden die Entwicklungen, die zu dieser Outperformance beigetragen haben, wahrscheinlich anhalten.


Wie sieht es bei Aktien aus? Auf den ersten Blick scheint der relativ moderate Renditeaufschlag, den Schwellenländer bieten, nicht für die höhere Volatilität zu entschädigen. Seit 2003 warf der MSCI EM im Durchschnitt einen Ertrag von 9,4% pro Jahr ab und wies eine Volatilität von 21,5% auf. Die durchschnittliche Rendite des MSCI World, einem Index für Aktienmärkte der Industrieländer, beträgt dagegen 9% und die Volatilität liegt bei nur 15,4%. Die Anlageklasse wies jedoch Phasen einer beträchtlichen Outperformance auf, vor allem zwischen 2003 und 2007, als die zunehmende Integration Chinas in die Weltwirtschaft für einen Wachstumsschub sorgte und die Nachfrage nach Rohstoffen ankurbelte. Zwar rechnen wir nicht damit, dass sich diese Entwicklung wiederholt, wir glauben jedoch, dass die Bedingungen für eine erneute Outperformance von Schwellenländern gegeben sind – wie wir weiter unten erklären.


Unser Fazit lautet, dass kein ausgewogenes Portfolio ohne eine Allokation in Vermögenswerte von Schwellenländern vollständig wäre. Die Volatilität ist höher, dafür erhalten Anleger jedoch Zugang zu einigen der wachstumsstärksten und dynamischsten Regionen der globalen Wirtschaft. Die Aufnahme von Vermögenswerten der Schwellenländer in ein Portfolio kann die Effizienzgrenze des Portfolios erhöhen, also die erwarteten Renditen relativ zur Gesamtvolatilität steigern.


Warum ist das jetzt wichtig?
Unseres Erachtens haben sich die Bedingungen für Schwellenländer verbessert, und zwar für Aktien, Anleihen und Währungen gleichermassen. Wir identifizieren mehrere unterstützende Faktoren, die für eine taktische Übergewichtung sprechen. Dazu zählen insbesondere die folgenden:

  • Die unerwartet frühe Wiedereröffnung Chinas dürfte den Binnenkonsum und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus anderen Ländern (Schwellen und Industrieländern) ankurbeln. Energie und andere Rohstoffe sind ein Bereich, der unseres Erachtens davon profitieren wird. Dienstleistungen, beispielsweise im Tourismussektor, und zyklische Konsumgüter dürften aber ebenfalls einen beträchtlichen Nachfrageanstieg verzeichnen. In den letzten drei Jahren konnten chinesische Konsumenten nicht so viel ausgeben wie sonst. Daher sind die Haushaltsbilanzen jetzt stärker. Aus taktischer Sicht ist die Wiedereröffnung in China wichtig. Sie wird Schwellenländerwerten sowohl direkt als auch indirekt zugutekommen, da sich die Wachstumsaussichten verbessern, die Rohstoffpreise steigen und die Finanzierungsbedingungen durch stärkere Währungen und niedrigere Zinsen günstiger werden.
  • Die Aktienbewertungen sind unseres Erachtens relativ gesehen attraktiv und die Fundamentaldaten der Unternehmen erleben eine Trendwende. Zum Zeitpunkt der Niederschrift notiert der MSCI EM Index mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12x auf Basis der Gewinnschätzung der nächsten zwölf Monate. Dies entspricht einem leichten Aufschlag gegenüber dem 10-Jahresdurchschnitt, aber nach wie vor einem Abschlag von nahezu 30% gegenüber den Industrieländern. Die Gewinndynamik und die Gewinnkorrekturen sind absolut gesehen immer noch negativ, haben aber im Vergleich mit den Industrieländern die Talsohle erreicht.
  • Schwellenländeranleihen profitierten ebenfalls von mehreren günstigen Entwicklungen. Dazu zählen der Rückgang der US-Inflation, der Kurswechsel Chinas in der Covid-19-Politik und die stärkere Unterstützung für den chinesischen Immobiliensektor. Angesichts dieser zunehmend positiven Entwicklungen haben die Rezessionsrisiken nachgelassen oder liegen weiter in der Zukunft. Wir verweisen darauf, dass die Renditen des Index für Staatsanleihen inzwischen bei rund 8,2% liegen und die des Index für Unternehmensanleihen bei etwa 6,7%. Bei Unternehmensanleihen von Schwellenländern bieten notleidende Anleihen Wertsteigerungspotenzial. Die positivere Stimmung ermöglicht Fortschritte bei Restrukturierungen. Unseres Erachtens bietet sich dadurch Aufwärtspotenzial für die Kurse und den allgemeinen Schwellenländerkomplex.

Nähere Informationen finden Sie im vollständigen Bericht CIO Tutorial: Was sind Schwellenländer? 10. Februar 2023.


Hauptbeitrag von: Christopher Swann


Inhalte erstellt vom UBS Chief Investment Office.