Lange Zeit galt: Ein solides Familienunternehmen sichert die Existenz über Generationen hinweg. Doch die Zeiten haben sich geändert. Früher war klar, dass die Kinder das Unternehmen weiterführen. In der Multioptionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist nichts mehr sicher. «Persönliche Verwirklichung obsiegt vielfach über familiäre Tradition», sagt Frank Halter vom KMU-Institut der Universität St. Gallen. Was schon der Vater gemacht hat, besitzt häufig kaum noch Vorbildfunktion. Dazu kommt vor allem in der Schweiz die hervorragende Perspektive für gut qualifizierte junge Berufsleute. Das wirkt sich auf die Struktur der Familienunternehmen aus.
KMU-Landschaft im Übergang
Man schätzt, dass in den nächsten fünf Jahren in der Schweiz mehr als 70000 KMU an die nächste Generation weitergegeben werden sollen – das betrifft hierzulande jedes fünfte KMU. Die Übernahme durch Familienmitglieder, das Family-Buy-out, ist da nur eine Möglichkeit. Eine andere ist das Management-Buy-out, das immer dann infrage kommt, wenn es innerhalb des Unternehmens Übernahmeinteressenten gibt. Der Vorteil dieser Lösung: Interna müssen nicht mit externen Personen geteilt werden. Die Eigentümer können so darauf zählen, dass das Unternehmen kompetent weitergeführt werden kann und das Know-how erhalten bleibt. Bei einem Management-Buy-in wiederum, also der Übernahme durch eine externe Führung bzw. einen Verkaufsprozess, geht das Unternehmen in fremde Hände über. Letzter Ausweg ist die Liquidation.
«Diese Entscheidung will gut überlegt sein», betont Frank Halter. «Egal, welche Option zum Tragen kommt: Man muss auch in der Familie das Bewusstsein dafür wecken, dass jede Option bestimmte Konsequenzen mit sich bringt. Bis der Senior das Pult geräumt hat, vergehen ab dem ersten Gespräch im Durchschnitt zehn bis zwölf Jahre. Aber keiner weiss, was in fünf Jahren ist.» Denn Pläne können sich ändern und Biografien nehmen eben nicht immer den geraden Weg. Hier sei es wichtig, einen Plan B und sogar C zu haben, rät der Spezialist.
Emotionen vs. Fakten
In Familienunternehmen ist vor allem eine Komponente viel entscheidender als in anderen Unternehmen: die der Emotionen. Die Bindung an das, was man selbst – oder die Generation vor einem – geschaffen hat, verstellt oft auch den nüchternen Blick auf die Fakten. Man möchte diesen Wert erhalten und nicht in fremde Hände geben – manchmal um jeden Preis. Vor der genaueren Prüfung einer oder mehrerer Optionen für die Nachfolge muss sich eine Familie jedoch die Frage nach dem Selbstverständnis stellen. Daraus ergibt sich oft schon eine Richtung, in die es gehen könnte. Es gibt drei Typisierungen von Familien mit Unternehmen:
Beim ersten Typus wird das Familienleben um das Unternehmen herum aufgebaut. Die Bedürfnisse der Familie werden den Interessen des Unternehmens untergeordnet – bis hin zur Stornierung der Ferien wegen einer Sitzung («Business First»).
Beim zweiten Typus, und am anderen Ende des Spektrums, steht die Familie im Fokus («Family First»). Die Krux bei diesem Typus besteht darin, dass die Performance nachrangig ist – Hauptsache, das Unternehmen ernährt die Familie irgendwie. «Da gibt es oft ganz tragische Fälle», meint Frank Halter. «Manche halten bis zum bitteren Ende am Unternehmen fest und verpassen einfach den Zeitpunkt, zu dem sie das Unternehmen hätten abgeben sollen.» Übrig bleibt hier meist nicht viel mehr als ein Berg Schulden – und häufig auch eine in ihren Grundfesten erschütterte Familie.
Der dritte Typus, die unternehmerische Familie, ist von einem unternehmerischen Engagement aus innerer Überzeugung heraus geprägt und nicht primär von ökonomischen Erwägungen getrieben («Die unternehmerische Familie»). Förderung des Wirtschaftsstandorts, Schaffung von Arbeitsplätzen, Verantwortung übernehmen – auch darum geht es der unternehmerischen Familie. Durch die Flexibilität in Bezug auf die Branchen haben solche Familien gute Voraussetzungen für die Zukunft. Die nachfolgende Generation kann, anders als in traditionellen Familienbetrieben, eigene Geschäftsideen entsprechend ihren Neigungen und Qualifikationen vorantreiben.
Erfolgsmodell Unternehmerfamilie?
Nüchtern betrachtet, ist die unternehmerische Familie also für die Herausforderungen der Zukunft wohl am besten gerüstet. Doch wie wird aus einem Familienunternehmen eine Unternehmerfamilie? Generell beantworten lässt sich das nicht. Die Grösse des Unternehmens spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Branche, in der es tätig ist. Es braucht Flexibilität und Offenheit gegenüber neuen Lösungen – und schlussendlich auch die Bereitschaft aller Beteiligten, eine Lösung zu suchen, die alle mittragen können. «Einfach weiterführen und verwalten – ein Modus, in den viele geraten – ist tödlich. Diejenigen aber, die ihren Beitrag geleistet haben, haben sich auch weiterentwickelt», unterstreicht Halter.
Wohin geht die Reise für Familienunternehmen, die ja letztlich alle irgendwann einmal vor der schwierigen Frage der Zukunftsentwicklung stehen? Fest steht nur, dass es keine komplette Abkehr von den Familienunternehmen geben wird. «Die Schweiz hat ihre unternehmerische Kraft, die in dieser Unternehmensform steckt, schon sehr oft bewiesen.» Solch eine Kraft resultiert sicher auch aus der Anpassungsfähigkeit – eine der wertvollsten Eigenschaften der Schweizer Wirtschaft. «Was den Begriff Familie angeht, so ist dieser heute ohnehin einem Wandel unterworfen», erklärt Halter. «Viele Unternehmen werden heute unter Freunden gegründet. Die Logik dieser Firmen folgt jener der Familienunternehmen.»
Die richtige Lösung braucht Zeit
Das «St. Galler Nachfolge-Modell», ein Rahmenkonzept für ganzheitliche Unternehmensnachfolge, hilft, alle Faktoren im Blick zu behalten. «Wir berücksichtigen bei der Suche nach der bestmöglichen Lösung auch andere Elemente als die der reinen Transaktionslogik.» Im Fall von Familien sind diese eben sehr oft im emotionalen und strukturellen Bereich angesiedelt. Deshalb ist das auch der zeitintensivste Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Die Abwicklung selbst verläuft dann nach einem straffen Zeitplan. «Wenn die Lösung erst einmal gefunden ist, geht der Prozess in die Transaktionsphase über. Diese Aufgabe übernehmen dann die Banken, Anwälte und Treuhänder.»
Frank A. Halter
hat an der Universität St. Gallen studiert (lic. oec. HSG) und in Deutschland an der European Business School in Oestrich-Winkel zum Thema Unternehmensnachfolge promoviert (Dr. rer. pol.). Heute ist er Gründungs- und Geschäftsleitungsmitglied des Center for Family Business der Universität St. Gallen (CFB-HSG) sowie Geschäftsleitungsmitglied und Leiter des Bereichs Weiterbildung des Schweizerischen Instituts für Klein- und Mittelunternehmen (KMU-HSG).
Das Thema Unternehmensnachfolge beschäftigt ihn vor allem in Form von Forschung, Lehre und Weiterbildungsaktivitäten. Er hat in den letzten Jahren regelmässig Familien im Rahmen ihrer Nachfolgeprozesse begleitet und ist in verschiedenen Verwaltungsräten tätig.