Robert C. Merton

Nobelpreis 1997 | Wie lässt sich das Vertrauen in den Finanzsektor wiederherstellen?

Robert Merton war gerade einmal acht Jahre alt, als er mit seinen unternehmerischen Aktivitäten begann. Er gründete die fiktive «RCM Savings of Dollars and Cents Company» und sammelte von Familie und Freunden Geld ein. Zwei Jahre später kaufte er seine ersten Aktien. Er war ein aussergewöhnliches Kind. Es überrascht nicht, dass er später zu einem der einflussreichsten Forscher im Bereich der Finanzökonomie wurde: Er hat die Black-Scholes-Formel erweitert und damit zur rasanten Entwicklung neuer Finanzprodukte und zu einem effizienteren Risikomanagement beigetragen. Heute betont er, dass unsere Gesellschaft durch die Finanzmärkte besser dasteht und wir das Vertrauen in die Finanzindustrie wiederherstellen müssen.

Robert C. Merton

Robert C. Merton

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften (anteilig), 1997

Auf einen Blick

Geboren: 1944, New York City, New York, USA

Fachgebiet: Finanzökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Entwicklung einer neuen Bewertungsmethode für Derivative, die Verallgemeinerung des Black-Scholes-Modells

Früh übt sich: Kaufte im Alter von zehn Jahren seine ersten Aktien

Interessen als junger Mann: «Mathe und Geld sowie Mädchen und Autos»

Motto: «Nichts ist umsonst.»

Glück haben

Als Doktorand der angewandten Mathematik am California Institute of Technology ging Merton jeden Morgen um 6:30 Uhr zu Börsenbeginn der New York Stock Exchange in das örtliche Maklerbüro. Noch bevor er seine Abschlussarbeit schrieb, wurde ihm klar, dass sich bestimmte Dinge ändern mussten. Also bewarb er sich am MIT. Wie kam er eigentlich ans Graduiertenkolleg, ohne jemals zuvor auch nur einen Ökonomiekurs belegt zu haben? «Wissen Sie, ich habe einen Lieblingssatz», sagt er mit einem Lächeln. «Es ist immer besser, Glück zu haben, als klug zu sein.»

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Risiken effizient managen

In den frühen 1970er Jahren hinterliess er durch seinen Beitrag zu einer bahnbrechenden Formel für die Bewertung von Aktienoptionen in dem Fachgebiet einen bleibenden Eindruck. Ganz allgemein betrachtet, gewähren Optionen das Recht, jedoch nicht die Pflicht, ein Finanzinstrument in der Zukunft zu einem fest vereinbarten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. «Damit erhält man Flexibilität, und Flexibilität ist in unsicheren Zeiten das Wichtigste», erklärt Merton. Doch um bei Markttransaktionen ein angemessenes Risikoniveau zu gewährleisten, müssen Optionen korrekt bewertet werden. Das war genau das Problem, mit dem sich Merton beschäftigte –wie schon seine Kollegen Myron Scholes und Fischer Black, die Namensgeber des ursprünglichen Modells.

«Irgendwann erzählte mir Myron von der grundlegenden Idee, die sie hatten. Meine erste Reaktion war, das kann nicht stimmen.» Also nahm Merton die Notizen mit nach Hause. «Nach dem Wochenende kam ich zurück und sagte: ‹Ich glaube, du hast recht. Aber es ist wesentlich allgemeiner, als du denkst›.» Merton hatte verstanden, wie weitreichend die Formel tatsächlich war und dass sie auch auf andere Finanzinstrumente wie Hypotheken und Studentenkredite angewendet werden könnte.

«Das war eine Produktionstheorie», fährt er fort. «Sie beschrieb, wie wir all die Finanzprodukte da draussen entwickeln, wie wir sie preisen und ihre Risiken abschätzen.» Die Methode wurde daraufhin von Händlern und Investoren gleichermassen genutzt. Sie bildete auch die Grundlage für eine viel breitere und schnellere Entwicklung der Derivatemärkte. «Man konnte nun etwas vollkommen Unbekanntes hernehmen und es mit dieser Theorie angehen», sagt Merton.

Sind Derivate eine Bedrohung für die Stabilität der Finanzmärkte?

Merton ist sich bewusst, dass einige Menschen die heutige Vielzahl derivativer Produkte für überflüssig, wenn nicht gar gefährlich halten.

Haben Derivative zu mehr Sicherheit beigetragen? Das ist nicht die richtige Frage. Die Frage ist, ob sie uns bessergestellt haben? Ja, das haben sie.

«Viele Leute sagen, man braucht nur ein einfaches System», sagt er. «Die haben aber nie wirklich die Welt gesehen, denn das ist nicht richtig. Wir brauchen diese Instrumente. Nur dank ihnen können wir unsere Systeme auf viel effizientere und effektivere Weise betreiben.»

Es mag Finanzinstrumente geben, die nur für erfahrene Anleger geeignet sind, doch das ist für Merton kein Argument gegen Innovationen. «Wenn mir jemand sagt, das ist ihm zu kompliziert, dann würde ich ihm antworten: ‹Wenn es für die Gesellschaft von Nutzen ist, dann haben Sie die Wahl: Entweder Sie versuchen, es zu verstehen oder Sie finden jemanden, der das kann.›»

Gibt es eine Möglichkeit, Finanzkrisen abzuwenden?

Merton betont, dass die Finanzkrise von 2008 nicht in irgendeinem «exotischen» Teil des Marktes, sondern dem am stärksten regulierten Segment stattgefunden hat. «Der Hypothekenmarkt bestand seit über 30 Jahren; man brauchte ihn damals und man braucht ihn auch heute noch», ergänzt er. «Der Gedanke, Neuerungen seien die Ursache gewesen, lässt sich nicht mit Daten belegen.»

Was der Finanzsektor braucht: Kompetenz und Vertrauen

Merton unterstreicht, dass sowohl Vertrauen als auch Kompetenz für die Finanzmärkte unverzichtbar sind, denn man kann mit riskanten Situationen konfrontiert werden, und einige Dienstleistungen wie zum Beispiel aktive Finanzanlagen können nur bis zu einem gewissen Grad transparent gemacht werden. «Die Art des Anlageinstruments, die Höhe der Investition, die Häufigkeit der Transaktionen – all diese Entscheidungen sind naturgemäss ermessensabhängig und infolgedessen intransparent.»

Wie kann der Finanzsektor das Vertrauen zurückgewinnen?

«Ich bin auf der Suche nach einem guten Chirurgen, möchte aber volle Transparenz haben», setzt er zu einem Vergleich an. «Also sagt mein Chirurg ‹Gut, Herr Merton, hier haben Sie alle wissenschaftlichen Studien und hier ist eine Liste aller Instrumente im Operationssaal.› Absolut transparent. Nur nicht für mich. Ich kann nicht abschätzen, wie riskant es ist und ob diese Person gute Arbeit leisten wird. Ich entscheide mich folglich, einen Arzt zu suchen, dem ich vertraue.»

Deshalb sollte die Vertrauensbildung nach Mertons Auffassung eine strategische Massnahme sein. «Wer Vertrauen schaffen kann, der kann enormen Wert erzeugen», sagt er. Eine mögliche Strategie für den Finanzsektor sieht er in der Beratung auf Honorarbasis. «Was auch immer Sie mir zahlen, das ist das einzige Geld, was ich dafür bekomme. Keine Provision, keine Geschenke oder Reisen, nicht mal ein Zahnstocher. Das ist ein sinnvolles Geschäftsmodell.»

Er weiss, dass es Möglichkeiten gibt, Vertrauen herzustellen, sowohl im staatlichen als auch im privaten Sektor. «Ich denke, um aus der Krise herauszukommen, ist das notwendig. Denn solange wir das Vertrauen nicht wiedergewinnen, haben wir auch keine Lösung», so Merton.

FinTech – eine Bedrohung für traditionelle Finanzinstitute?

Die enormen technologischen Entwicklungen der heutigen Zeit haben auch die Finanzdienstleistungsbranche beeinflusst. Die neue Finanztechnologie, auch FinTech genannt, hat zu Veränderungen bei Unternehmen, Prozessen und Produkten geführt. «Gerade bei Prozessen ist das Silicon Valley sehr gut», sagt Merton. «Aber im Hinblick auf Finanzdienstleistungen? Die Rede ist davon, dass das künftig Computer für uns übernehmen werden. Aber können Sie sich das bei Medikamenten vorstellen? Sie würden Ihre Arzneimittel doch auch nicht von jemandem beziehen, den Sie nicht kennen, selbst wenn sie äusserst effizient, rund um die Uhr und per Knopfdruck direkt auf ihr Mobiltelefon geliefert würden.»

Wird das Silicon Valley den Finanzsektor übernehmen?

Er erklärt, dass es einen bedeutenden Unterschied gibt zwischen der Beratung im medizinischen Bereich und der in der Finanz- oder anderen Branchen. «Ich weiss nach 10 Minuten, ob ein Film gut ist oder nicht», sagt Merton. «Aber ich weiss nicht, ob mich jemand schlecht in Finanzdingen beraten hat. Das weiss ich erst, wenn es schon zu spät ist. Deshalb wird FinTech die Finanzberater nicht komplett ersetzen.»

Für die eigene Rente vorsorgen

Der dreifache Vater weiss, dass sich Zeiten schnell ändern. Als Professor für Finanzwissenschaften am MIT hat er nicht nur ein Auge auf die Entwicklungen im Finanzbereich, sondern auch auf seine Studenten. Für die hat er einen Rat in Bezug auf die Altersvorsorge: «Wenn ihr das Glück habt, länger als eure Eltern zu leben, und den gleichen Lebensstandard beibehalten wollt, dann müsst ihr länger arbeiten», sagt er ihnen. Doch das bedeutet nicht, dass sich junge Menschen zu viele Sorgen machen sollten. «Sie müssen nur verstehen, dass solche Einschränkungen existieren. Und dass es viele gute Möglichkeiten gibt, besser für den Ruhestand zu sparen.»

Warum sollten junge Menschen für ihre Rente vorsorgen?

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Merton ist der Meinung, junge Leute sollten Finanzinnovationen positiv gegenüberstehen und sie zu ihrem Vorteil nutzen. Deshalb ist es so wichtig für ihn, dass die Beschäftigten im Finanzdienstleistungsbereich kompetent und vertrauenswürdig sind. «Man sollte nicht erst eine Ausbildung machen müssen, um herauszufinden, wie man sein Portfolio verwaltet», sagt er. «Man sollte in der Lage sein, jemanden zu finden, dem man diese Aufgabe anvertrauen kann.»

Nichts ist umsonst. Scheint es zu gut, um wahr zu sein, ist es vermutlich nicht wahr. Wenn man das lernt, verpasst man möglicherweise einige Chancen, erspart sich aber eine Menge Ärger.

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