Sir Christopher Pissarides

Nobelpreis 2010 | Warum gibt es Arbeitslosigkeit und gleichzeitig offene Stellen?

Jeder, der schon einmal eine neue Arbeitsstelle gesucht hat, weiss, dass dieser Prozess langwierig ist. Man durchsucht Stellenanzeigen, schreibt Bewerbungen und verschickt sie dann. Und dann beginnt das Warten. Vielleicht wird man zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Danach muss man wieder warten und wird möglicherweise zu weiteren Gesprächen eingeladen. Die Arbeitgeber durchlaufen gleichzeitig ähnliche Suchprozesse, um den einen Kandidaten oder die eine Kandidatin zu finden, der bzw. die perfekt zu ihnen passt. Arbeitslosigkeit und gleichzeitig freie Stellen gibt es in fast jeder Volkswirtschaft.

Dies mag uns heute offensichtlich erscheinen, aber diese Einsicht ist nur einem gewissen, in Zypern geborenen, Wirtschaftswissenschaftler namens Christopher Pissarides zu verdanken. Er kam in den 1970er Jahren nach England und stellte das damalige Arbeitsmarktverständnis auf den Kopf. Ausgehend von seiner Faszination, die er als Kind für die Arbeit der Menschen um ihn herum verspürte, und dank eines ausgeprägten sozialen Bewusstseins, das sich in den späten 1960er Jahren herausbildete, machte sich Professor Pissarides an die Aufgabe, eine unabhängige Untersuchung zur Arbeitslosigkeit durchzuführen. Mit seiner Arbeit schuf er ein radikal neuen Ansatz , um den klassischen Arbeitsmarkt zu verstehen.

Sir Christopher Pissarides

Sir Christopher Pissarides

Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel, 2010

Auf einen Blick

Geburtsjahr: 1948, Nicosia, Zypern

Fachgebiet: Arbeitsökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Analyse von Märkten mit Friktion

Liest gerne: Biographien, insbesondere solche erfolgreicher Menschen

Superpower: Kann einen Flussstein von einem Meeresstein unterscheiden

Schrieb Geschichte: Als einziger Studierender an der LSE, dem zwei Mal die Promotion verweigert wurde

Architektonischer Beitrag zur LSE: Erfolgreicher Einsatz für den Bau einer Brücke, welche die Wirtschaftsfakultät mit dem Forschungszentrum verbindet

Lebensmotto: «Ich gebe nie auf!»

Matchmaking bringt Menschen in Verbindung miteinander

«Meine Faszination für die Wirtschaftswissenschaften hat sich schon immer auf den Arbeitsmarkt konzentriert, weil es hier um Menschen geht, die interagieren», sagt er. «Und dabei handelt es sich nicht nur um eine rein wirtschaftliche Interaktion, die man beginnt, um etwas zu produzieren und damit Erträge zu erzielen, und wieder beendet, sondern vielmehr darum, wie gut die Menschen auf dem Arbeitsmarkt miteinander verbunden sind, wie gut sie zusammenpassen.»

«Ich habe versucht, mich so weit wie möglich von der sehr emotionslosen Art und Weise zu lösen, mit der Wirtschaftswissenschaftler üblicherweise das Thema Arbeit betrachten, dabei aber gleichzeitig die geltenden Grundsätze der wirtschaftlichen Modellierung zu berücksichtigen. Wie weit kommen wir mit diesen Prinzipien, die vor über 250 Jahren mit Adam Smith begannen und sich über die Jahrhunderte weiterentwickelt haben? Sie können manches erklären, stellen manches aber auch falsch dar.»

Suchen, bis es passt

Bericht

Die Zukunft der Menschheit: Future of Humans Report

Erfahren Sie mehr über den Blick von Pissarides auf die Zukunft der Arbeitnehmer in dem im UBS CIO-Report veröffentlichten Interview mit ihm.

Mit seiner Arbeit, für die er 2010 den Nobelpreis erhielt, schliesst er diese Lücke, indem er das klassische Marktmodell mit der Suchfunktion zusammenführt. So bringt er die Angebots- und die Nachfrageseite der klassischen Volkswirtschaftslehre so zusammen, dass es möglich wird zu erklären, wie die Arbeitsmärkte funktionieren. Die Arbeit berücksichtigt passenderweise auch die relevanten Elemente aus der Suchtheorie von Pissarides, bei der potenzielle Partner einander suchen, bevor es zu einer Interaktion kommt – so wie auf einem Datingportal oder bei Immobilien-Websites.

Kurz gesagt, fügte Pissarides den vorhandenen Gleichungen im Arbeitsmarktmodell eine dritte Gleichung hinzu, die Matching-Gleichung. Dieser einflussreiche Gedanke lieferte sowohl für Forschung als auch für die Politik massgebliche Erkenntnisse in den Bereichen Arbeit, Wohnungsbau, Kreditvergabe. Ebenso hatte dieser Gedanke Einfluss auf weitere wirtschaftliche Bereiche, die durch eine Matching-Funktion beschrieben werden können.

Die Schönheit der Mathematik

Als Pissarides uns auf eine gedankliche Reise zurück in seine Kindheit auf Zypern mitnimmt, offenbart sich sein Verhältnis zur Welt um ihn herum. Er erinnert sich an die Faszination, die die bescheidenen und eleganten Stickmuster der von zypriotischen Frauen handgefertigten Taschentücher auf ihn ausübten.. Der junge zukünftige Nobelpreisträger war beeindruckt vom Transformationsprozess der Arbeit, mit der die Frauen ihr aus einfachen Seidenfäden bestehendes Material in das fertige Produkt verwandelten, das dann im Textilgeschäft seines Vaters angeboten wurde. Aus Rohstoffen schafft der Arbeiter oder die Arbeiterin nicht nur ein neues Objekt, sondern verleiht diesem durch den Produktionsvorgang ausserdem Mehrwert.

Es überrascht nicht, dass Pissarides ähnlich über die Mathematik spricht, da auch hier etwas Konkretes dadurch entsteht, dass man sich zunächst vom Gegenstand distanziert. «Es geht mehr um die Abstraktion und die Schönheit, die in ihr liegt, und die Art und Weise, in der sie schnell zu Ergebnissen führt», sagt er. «Du hast eine Gleichung, du löst die Gleichung auf und schon hast du das Ergebnis. Es ist in gewisser Weise vergleichbar mit einer Sprache, aber dabei viel greifbarer.» Die Eleganz und Einfachheit mathematischer Modelle ist für ihn ein Weg, um essenzielle gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Der Wunsch, Arbeitslosigkeit zu verstehen

In seinen ersten Jahren in England, lange bevor er von der Königin zum Ritter geschlagen und ihm der Nobelpreis verliehen wurde, beschäftigte sich Pissarides mit der Arbeitslosigkeit um ihn herum und wollte diese besser verstehen. Seine wissenschaftliche Arbeit führte den Wert des arbeitslosen Arbeiters ein.

«Als ich feststellte, dass es Menschen gab, die Arbeit suchten, aber keine bekamen, obwohl es freie Stellen bei den Unternehmen gab, wurde mir bewusst, dass hier ein grosses Unverständnis herrschte und dass man etwas dagegen unternehmen könnte.

Der Wille, etwas gegen das Leid der Arbeitslosen zu tun

Der Wert eines arbeitslosen Arbeiters

Der Wert eines arbeitslosen Arbeiters als potenziellem Lohnempfänger auf dem Arbeitsmarkt im Austausch für seine Fähigkeiten – und damit eine stagnierende Quelle wirtschaftlicher Aktivität – weckte in dem Wirtschaftswissenschaftler sowohl Mitgefühl als auch Neugier. Dieser Ansatz hat unser Verständnis einer (Fehl-)Funktion auf dem Arbeitsmarkt radikal erweitert und zu einer Überarbeitung der politischen Empfehlungen beigetragen.

Je mehr er sich mit dem Thema beschäftigte, desto stärker bewegte ihn sein soziales Bewusstsein, das seine Neugier anstachelte und ihn dazu drängte, eine Lösung zu finden. Während der Regierungszeit von Margaret Thatcher in Grossbritannien erlebte Pissarides, wie die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellte. «Einige der Marktreformen bekamen Grossbritannien gut», sagt er. «Ich hätte es aber anders angepackt.» Erstens hätte man die Reformen deutlich langsamer Schritt für Schritt umsetzen müssen. Zweitens hätte Pissarides die politischen Programme zusammen mit Gewerkschaftsvertretern entwickelt.  Und zu guter Letzt hätte man die von den Reformen betroffenen Arbeiter nicht in der Kälte stehen lassen dürfen.

«Wenn Thatcher mich nach meiner Meinung gefragt hätte ...»

Kurz, nachdem bekannt wurde, dass ihm der Nobelpreis verliehen würde, gab es für Pissarides keinen Mangel mehr an Möglichkeiten der politischen Einflussnahme. So beriet er sowohl die Regierung von Zypern als auch den Europäischen Rat. «Wenn man Politiker berät, sollte man nie davon ausgehen, dass sie auch das tun, was man ihnen sagt», sagt er. «Das wäre extrem frustrierend. Wenn man Politiker berät und sie einem zuhören, hat man schon alles erreicht, was man erhoffen kann.»

«Bis er den Preis bekam, hatte er nie das Gefühl, dass er ernst genommen würde», sagt Rachel Ngai, seine Lebenspartnerin, mit der er auch zusammenarbeitet. Sie gibt an, dass er immer ein echter Akademiker gewesen sei, der seine eigene Forschung betrieb, ohne dass es ihm dabei um Anerkennung ging.

Beratung von Politikern, Leitfaden für Anfänger

Die Hoffnung, dass etwas von dem, was er sagt, ankommen und Entscheidungen und politische Massnahmen beeinflussen könnte, beflügelt Pissarides auch weiterhin. Zudem wäre er gar nicht in der Lage, untätig zu bleiben, wenn er weiss, was eigentlich getan werden müsste. «Ich würde nicht aufgeben, nur weil mir jemand nicht zuhört», sagt er. «Weitermachen, und wer weiss? Eines Tages hören sie mir vielleicht zu.»

Und genau dieses Prinzip des Nicht-Aufgebens brachte Pissarides dazu, in der Eurokrise aktiv zu werden. Sein intensives Interesse sowohl am europäischen Projekt als auch am Thema Arbeitslosigkeit veranlasste ihn, Vorlesungen, Veröffentlichungen und Bildungskampagnen in Griechenland und Zypern durchzuführen. Dies betraf die Zeit nach 2008, als die durchschnittliche Arbeitslosigkeit auf nahezu 30 Prozent stieg und die Hälfte der damaligen Universitätsabsolventen gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhielt.

Wie lässt sich die Krise in Griechenland lösen?

«Betrachtet man die Art von Politik, die zu diesem Marktversagen und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat, unterscheidet sie sich nicht allzu sehr von der Situation während der Great Depression in den USA», erklärt er, womit er in Bezug auf die staatliche Investitionspolitik die Ideen von John Maynard Keynes weiterentwickelt. «Der andere Grund war die hohe Staatsverschuldung. Die Institutionen, die Griechenland Finanzmittel zur Verfügung hätten stellen können, um dem Land eine Fortsetzung seiner Wirtschaftspolitik zu erlauben, bestanden auf staatlich verordneten Lohn-, Renten- und Ausgabenkürzungen, was effektiv zu einem Nachfragerückgang in der Wirtschaft führte.»

Wo können Geldmittel herkommen, um Griechenland zu helfen?

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Die neoklassischen Wirtschaftstheoretiker gingen davon aus, dass die Arbeitskosten durch Lohnsenkungen reduziert und damit das Land als Produzent von Billigexporten attraktiver machen würden. «Wie wir gesehen haben, hat das nicht funktioniert», sagt er. «Einer der Gründe hierfür ist, dass Griechenland gar keinen besonders grossen Exportsektor hat. Der Tourismus ist sehr wichtig für Griechenland, und dieses Beispiel wird auch ständig angeführt. Man ging davon aus, dass viel mehr Touristen nach Griechenland reisen würden, wenn das griechische Tourismusprodukt billiger würde, da sie nicht mehr so viel Geld für den Besuch einer griechischen Taverne oder eines Hotels bezahlen müssten. Das hat aber nicht funktioniert. Auch wenn man eine quantitative Zunahme erreicht, ist diese nicht ausgeprägt genug, um einen Aufschwung der gesamten Volkswirtschaft zu bewirken.»

Meiner Meinung nach ist es so: Wenn wir in der Eurozone echte Partner sind und es sich um eine echte Partnerschaft handelt, dann sollten andere Länder der Eurozone, allen voran Deutschland, heute in Griechenland investieren. Schliesslich gibt es dort sehr aussichtsreiche Anlagemöglichkeiten, die genutzt werden könnten.

Sein unerschütterlicher Optimismus hat Pissarides schon fast sein ganzes Leben begleitet. Als 17jähriger, der nach London kam, um zu studieren, fiel ihm schnell auf, dass sich die Umgebung in einem neuen Land umfassend ändert. Und dass etwas, das zunächst schwierig zu sein scheint, später machbar wird und einem irgendwann sogar Freude bereitet. «Ich gebe nie auf! Ich gebe einfach nie etwas auf, was ich angefangen habe, egal wie schwierig es ist», erklärt er. «Aber ich mache es auf meine eigene Art und Weise.» Er fasst seine eigenen Erfahrungen in Form eines Ratschlags zusammen.

Dinge verändern sich, und wenn du dir bewusst bist, dass sie sich ändern, solltest du nicht aufgeben. Die Veränderung erfolgt zum Guten, wenn du sie zu nutzen weisst.

Warum sollten Länder bessere Wege finden, um zu wachsen?

Hören Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie Länder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen können.

Welche Bedeutung hat die Arbeit von Pissarides für uns?

«Der orthodoxe Ansatz behandelte Arbeit wie jedes andere Gut, das zum Marktpreis gekauft und verkauft werden kann. Jeder, der im Finanzsektor arbeitet, weiss, dass dies absurd ist.»

Paul Donovan
Global Chief Economist
UBS Wealth Management

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