Mit Stift und Papier zu mehr Innovation
Unternehmer als Künstler: Wer seine Gedanken visualisiert, kommt auf kreativere Ideen, weiss Martin Eppler, Professor für Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen. Bild: Thinkstock.

Die Wände und Decken Ihres Büros sind voller Post-its. Warum?
(Lacht) Wir sind eine Art Handwerker. Wir bauen Denkwerkzeuge, bessere Hämmer und Zangen fürs Denken und Kommunizieren. Wir sind wissenschaftliche Werkzeugmacher, das geht am besten mit handgemachten Prototypen.

Wie kann man sich Denkwerkzeuge vorstellen?
Unsere Bücher lassen sich physisch als Werkzeuge nutzen. Unser Kreativitätsbuch «Creability» legt man bei einer Sitzung in die Mitte und arbeitet damit. Die deutsche Ausgabe von «Sketching at Work» ist eher ein Tool für zwei Personen, die diskutieren. Es hilft, ein Problem aus verschiedenen Perspektiven anzugehen. So kann man von einer guten Idee innerhalb von fünf Minuten zu einer grossartigen Idee kommen.

Diese Bücher sind Bestseller. Doch darin sind einige Seiten leer.
Das ist Absicht. Dort kann man die erklärten Methoden gleich selbst ausprobieren.

Weshalb die Serviettenästhetik?
Weil auf Servietten schon viele Geschäftsideen entstanden sind. Unsere Grafiken signalisieren Unfertigkeit; das führt zu weniger Selbstzensur. Bei mir müssen Unternehmer und Manager am Ende eines Kurses ihre wichtigste Erkenntnis auf einer Serviette aufzeichnen. So sind sie fokussiert und bringen es auf den Punkt. Dabei erkennen die Unternehmer auch ihr kreatives Potenzial.

Je einfacher das Material, desto inspirierender?
Oft ist es so, und desto mehr realisieren die Unternehmer: Das ist Arbeit, die am Entstehen ist. Es muss nicht gleich eine PowerPoint-Folie sein. Wenn man etwas zu früh gut aussehen lässt, wirkt dies innovationshemmend. Ich finde es besser, Sachen länger in Fluss zu lassen. Mir gefällt, was Albert Einstein sagte: Sein Stift sei intelligenter als er. Beim Skizzieren sind Zufallsentdeckungen möglich.

Sie bauen auch Spiele.
Ja – Spiele, bei denen man Probleme lösen muss. Zum Beispiel das Spiel «Confluence Diagram». Dieses haben wir zuerst aus Holz, Nägeln und Gummiringen gebaut. Der Lowtech-Prototyp hat dann bei der Software-Entwicklung extrem geholfen: Wir konnten Abhängigkeiten physisch durchspielen.

Wie reagieren Unternehmer auf Ihre Spiele?
Wir verwenden die Spiele nur mit Schulungs- und Projektpartnern, die sich sehr rasch daran gewöhnen. Sie dienen aber auch der Forschung. Die Managementschmiede IMD in Lausanne arbeitet seit einiger Zeit mit «Lego Serious Play». Der Spass kostet rasch 20 000 Franken am Tag. Man sieht dann Manager in Krawatten, die mit Legosteinen ihre Strategie und ihre Firmenidentität konstruieren. Das hilft ihnen, freier über ihre Probleme zu reden. Die Manager wirken konzentrierter, authentischer und offener.

Fassbare Spiele führen also zu einer besseren Kommunikation?
Ja, denn Manager schalten so vom Präsentationsmodus in den Kooperationsmodus, gehen in einen echten Dialog, in eine Ko-Kreation. Das Magische daran: Wenn man etwas visualisiert, händisch darüber redet, geht ein Konflikt vom Persönlichen aufs Sachliche über. Das schafft eine konstruktivere Atmosphäre.

Heute findet aber ein Grossteil der Arbeit vor dem Bildschirm statt.
Das Fatale an der digitalen Trance ist, dass die Musse und der Weitblick dabei zerstört werden. Es gibt Studien, die besagen, dass wir uns vor dem Bildschirm alle drei bis fünf Minuten selber unterbrechen. So kommen wir nie in die vertiefte Konzentrationsphase, die für Innovation nötig ist. Ich sehe eine grosse Chance darin, durch das Schaffen von Hand und Visualisieren länger in der Konzentrationsphase zu bleiben.

Was raten Sie?
Sich selber, aber auch dem Zufall, viele Chancen zu geben. Und: statt auf permanente Aufnahme vermehrt auf Musse zu schalten. Auch mal ohne Ladegerät aus dem Haus gehen. Hoffentlich leert sich der Akku. Dann kann ich nämlich schauen, was in der Welt ringsum passiert. Einige Führungskräfte ziehen sich regelmässig für eine halbe Stunde zurück. Sie sagen sich: Nur ein Blatt Papier, ein Stift und ich. Dann zeichnen sie auf, was ihnen durch den Kopf geht, strukturieren, was sie vorhaben. Für viele ist das die beste Zeit des Tages.

Sie praktizieren auch «omline». Was bedeutet das?
Es ist ein bewusstes Offlinesein, eine Distanz zu den eigenen Impulsen. Alles, was extra mitschwingt, lässt man weg, um sich auf den Moment zu konzentrieren.

Wo geht man omline?
Hier und jetzt, ob im Zug, vor dem Einschlafen oder in Sitzungen. Es beginnt bereits damit, dass man das Gegenüber ausreden lässt. Doch das Digitale und das Analoge ergänzen sich. Das haben wir im Buch «Dynagrams – Denken in Stereo» beschrieben. Der Computer macht das Komplexe, wir das Kreative.

Was bringt «omline» Unternehmern?
Das bewusste, längere Offlinegehen ermöglicht es Mitarbeitern, bewusster zu beobachten, schärfer nachzudenken und auf nicht offensichtliche Ideen zu kommen. Sie schalten vom Konsum- in den Such- und Kreativmodus. Das gelingt nachweislich weniger gut, wenn wir ständig auf einen Bildschirm starren.

Haben Sie auch schon KMU zu mehr Kreativität verholfen?
Das machen wir oft: vom kleinen Verlag, der neben seinen Magazinen weitere Dienstleistungen erfinden möchte, bis zum kleinen Hightech-Unternehmen, das ein innovatives Geschäftsmodell für sein Produkt entwickeln will.

Wie geht das konkret?
Meist arbeiten wir sehr fokussiert. Wir führen ein bis drei Innovationsworkshops durch. Jeder dauert aber nur vier Stunden. Dabei entwickeln wir zusammen meist bis zu 100 Ideen, von denen drei bis vier weiter ausgearbeitet werden. Wir arbeiten mit visuellen Methoden – sowohl einzeln, in Zweierteams wie auch in Grossgruppen. Kürzlich halfen wir etwa einer kleinen App-Entwicklungsfirma dabei, den Nutzen ihrer Software weiter zu steigern und neue Kunden zu finden.

Kommt man auch zu Innovationen, ohne Geld für Seminare ausgeben zu müssen?
Aber natürlich. Die Moderation von Innovationsworkshops ist keine Hexerei. Es gilt jedoch, ein paar Grundprinzipien, Methoden und Fallstricke zu beachten – diese lassen sich grösstenteils nachlesen.

Martin Eppler

Der Kreativitätskreator

Martin Eppler (46) ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Er zählt zu den renommiertesten Beratern für Kommunikation in Unternehmen.

Illustration: dynagrams.org

Fünf Tipps für mehr Kreativität

  1. Keine Brainstormings. Verbannen Sie Brainstorming aus Ihren Sitzungen, denn diese Form der Ideenentwicklung ist nicht optimal, wie Dutzende von Studien zeigen.
  2. Provokateure gesucht. Achten Sie darauf, wirklich offene, provokative und lösungsorientierte Fragen zu stellen. Das ermöglicht frische und nützliche Ideen.
  3. Zuerst visualisieren, dann sprechen. Lassen Sie die Beteiligten ihre Ideen zuerst notieren oder visualisieren, bevor sie sich austauschen und alles besprechen. So beeinflusst man sich nicht vorschnell und erhält vielfältigere Beiträge. Und auch die eher introvertierten Kollegen beteiligen sich an der Diskussion.
  4. Konstruktive Kritik. Kritisieren Sie Ideen sofort – aber richtig, sprich konstruktiv: Was kann man an der Idee noch weiter verbessern, wie ihre Schwachstellen ausmerzen?
  5. Das Beste, nicht das Erstbeste. Verlieben Sie sich nicht in die erste praktikable Idee, sondern feilen Sie an Ihren Ideen. Das ist das wahre Geheimnis von Kreativität in KMU. «Iteration» ist gefragt – anders gesagt: möglichst viele Verbesserungs- und Rückmeldungsschleifen.

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