Thomas J. Sargent

Nobelpreis 2011 | Wie wirken sich Änderungen der Fiskal- und Geldpolitik auf das Wirtschaftswachstum aus?

In den 1970er Jahren war Tom Sargent neben dem Nobelpreisträger Robert Lucas einer der führenden Vertreter der revolutionären Theorie der rationalen Erwartungen. Anhand von Vergleichen rationaler Erwartungen mit realen Daten konnten sie nachweisen, dass die Politik von finanz- und geldpolitischen Institutionen langfristig keinen Einfluss auf die Wirtschaftsleistung oder die Arbeitslosigkeit hat. Auch heute noch zählt Sargent zu den am häufigsten zitierten Ökonomen und ist noch dazu einer der bei Studenten beliebtesten Professoren. Wenngleich er auf eine erfolgreiche akademische Laufbahn zurückblicken kann, lernt er immer noch mit Begeisterung neue Sachen dazu, beispielsweise Programmiersprachen.

Thomas J. Sargent

Thomas J. Sargent

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften (anteilig), 2011

Auf einen Blick

Geboren: 1943, Pasadena, USA

Fachgebiet: Makroökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Empirische Forschung über Ursache und Wirkung in der Makroökonomie

Spätzünder: Hing im Graduiertenkolleg in Mathe hinterher (fand dann aber den Anschluss)

Über das Älterwerden: Sagt, er leugnet es, scheint aber fitter zu sein als die meisten über 70-Jährigen

Motto: «Wir können uns glücklich schätzen, dass wir einen Tag bekommen. Ich sage immer, einen Tag nach dem anderen.»

Ein ruhiger Platz zum Nachdenken

In den schneereichen Bergen von Montana liegt 320 Meilen von Salt Lake City entfernt der kleine Ort West Yellowstone, der nur etwas mehr als 1000 Einwohner zählt. Während der Sommermonate tummeln sich dort die Touristen, die den gleichnamigen Nationalpark besuchen. Zu der Jahreszeit, wenn die Holzhäuser alle von Schnee bedeckt sind, fühlt es sich an wie der ruhigste Platz auf der ganzen Welt.

Sargent trägt bei unserem Treffen zu seinem Anzug mit roter Krawatte und dicke Winterstiefel. Er betont, wie sehr er seine Wohnung ausserhalb der Stadt geniesst, genau wie die Natur und vor allem das Fliegenfischen – ein beliebter Sport in der Gegend (und auch der Grund, weshalb ein anderer Nobelpreisträger, Angus Deaton, ihn oft besucht).

Es ist ein eher ungewöhnlicher Ort für ein Interview mit einem Nobelpreisträger, kein vollgestopftes Büro, aber genau der richtige Platz, um eine spannende Geschichte zu erzählen – perfekt also, denn genau das wird Sargent tun.

Die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften – erklärt von einem Physiker

Was haben Astrophysik und Ökonomie gemeinsam?

Um seinen Punkt deutlich zu machen, greift der Nobelpreisträger von 2011 gern auf Beispiele aus der Geschichte zurück. Auf die Frage nach seiner mit dem Nobelpreis gewürdigten Arbeit führt er den bekannten Physiker Richard Feynman ins Feld und erklärt, warum Ökonomie mit einem Schachspiel vergleichbar ist, bevor er uns ins 16. Jahrhundert entführt. «Das ist ein schöner Vergleich», beginnt Sargent und bezieht sich dabei auf Nikolaus Kopernikus und später Johannes Kepler, die sich beide mit den Gesetzen der Planetenbewegungen beschäftigten – zu einer Zeit, als die Menschen noch glaubten, die Erde sei der Mittelpunkt des Universums. Sargent erläutert, wie Kepler aus seinen Beobachtungen mathematische Gleichungen ableitete. «Es handelte sich um wiederkehrende Muster», sagt er. Die Arbeit eines Ökonomen der heutigen Zeit ist ähnlich. Man arbeitet mit riesigen Datenmengen, um bestimmte Muster zu erkennen. «Man ist dabei vollkommen unvoreingenommen und versucht, keine vorgefertigte Meinung zu haben. Das ist wichtig.»

Aber die schwierigste Aufgabe ist es, ein nicht-kausales Modell in ein kausales umzuwandeln. In der Astrophysik dauerte es 60 Jahre, bis Isaac Newton die Arbeit von Kepler als Grundlage nahm und daraus ein kausales Modell entwickelte. «Das ist der Goldstandard», sagt er. «Man kann das, was Kepler herausgefunden hat, einer Maschine beibringen. Aber um das gleiche mit Newtons Erkenntnissen zu tun, braucht es etwas anderes.»

Die Freunde und Feinde der Finanzbehörden

Es lässt sich mit der Arbeit von Sargent und seinen Kollegen vergleichen, als sie eine Methode zur Interpretation von Mustern entwickelten. Ihre Arbeit befasste sich nicht mit der Bewegung von Planeten, sondern mit steuer- und geldpolitischen Institutionen und deren Einfluss auf ökonomische Variablen wie das BIP, die Inflation, die Arbeitslosigkeit und Investitionen. Sargent erarbeitete Methoden zur Analyse kausaler Beziehungen, konzentrierte sich dabei jedoch anders als sein Mitpreisträger Christopher Sims nicht auf den Effekt unerwarteter Ereignisse, sondern auf vorübergehende und langfristige Änderungen der Politik.

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Wie wirken sich die Geld- und die Fiskalpolitik tatsächlich aus?

Wie wirken sich die Geld- und die Fiskalpolitik tatsächlich aus?

Sargent unterstreicht die legitime Macht der Regierung in bestimmten Bereichen, einschliesslich des Steuer- und des Sozialversicherungssystems. Wie viel Geld nimmt die Regierung ein und von wem? Wie gibt sie Geld aus und wofür? «Die USA geben heutzutage mehr aus, als sie durch Steuern einnehmen», sagt er. «Und es wird noch schlimmer werden.»

«Die Fiskalpolitik kann tatsächlich grossen Einfluss auf eine Volkswirtschaft nehmen aber die Zentralbank spielt eine eher nebensächliche Rolle», führt er weiter aus. Darüber hört man nichts in den Nachrichten, aber für eine erste Annäherung ist das ein guter Ausgangspunkt. Langfristig betrachtet kann sie unter bestimmten Umständen das Preisniveau beeinflussen, aber auf die Zinssätze hat sie nur vorübergehende Auswirkungen.»

Sargent verweist auf den berühmten Milton Friedman und argumentiert, dass eine expansive Geldpolitik keinen Einfluss auf die Arbeitslosigkeit hat. «Die wird grösstenteils durch andere Faktoren bestimmt», erklärt er und verweist auf die Arbeit seiner Kollegen Peter Diamond und Christopher Pissarides – beide ebenfalls Nobelpreisträger, die für ihre Theorien zu Mechanismen am Arbeitsmarkt ausgezeichnet wurden. «Wenn man sich fragt, wer eigentlich bestimmt, ob man einen Job hat oder nicht, dann steht die Zentralbank ganz weit unten auf der Liste. Die Zentralbank kann höchstens Offenmarktgeschäfte tätigen. Ihre Aktiven sind Staatsanleihen und ihre Passiven sind Geld.»

Der Ökonom räumt ein, dass die strikte Trennung von Fiskal- und Geldpolitik eher theoretischer Natur ist und nennt als Beispiele für ihr Scheitern die Hyperinflation in Deutschland Anfang der 1920er Jahre sowie die aktuelle Krise in Venezuela. «Menschen, die darauf vertrauen, dass die Regierung ihre Währung stabil hält, werden besteuert», sagt er.

Wenn Transfersysteme zur Falle werden

Wie sollten Sozialprogramme aufgebaut sein?

Sargent hat sich auch mit den Arbeitslosenzahlen in den USA und in Europa beschäftigt. Dabei konzentrierte er sich auf die Ausgestaltung von Sozialhilfeprogrammen und auf die Dauer der Programme zur Arbeitslosenunterstützung. Innerhalb dieses Bereichs untersuchte er den Wertverlust des Humankapitals als Folge von Langzeitarbeitslosigkeit.

«Sozialprogramme können dazu führen, dass man aus eigenem Interesse heraus im System staatlicher Unterstützung gefangen bleibt», fügt er hinzu. Das deckt sich mit dem, was er bereits in seiner Bankettrede anlässlich der Nobelpreisverleihung 2011 in Stockholm sagte. «Die Menschen sind für Anreize empfänglich, auch diejenigen, denen man helfen möchte.»

Die entscheidenden Faktoren von Ausgleichsprogrammen sind die Höhe und die Dauer der Ersatzleistungen. Sargent illustriert dies am Beispiel vieler europäischer Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich Systeme einführten, in denen ein immens hoher Teil des letzten Lohns gezahlt wurde, und das für einen unbefristeten Zeitraum.

Diese Systeme konnten im Zuge der Globalisierung und dem damit einhergehenden zunehmenden Wettbewerb aus dem Ausland nicht dauerhaft funktionieren. «Wenn die Arbeitslosenunterstützung an die Höhe des letzten Lohns gebunden ist, die eigene Qualifikation nun aber weniger wert ist, erhält man Arbeitsangebote zu einem niedrigeren Lohn als dem Arbeitslosengeld», so Sargent. «Warum sollte man da zustimmen? Man sitzt in der Falle. Und die eigenen Fähigkeiten werden sich weiter zurückentwickeln.»

Die Bedeutung von Umschulungsmassnahmen

Er betont, dass Regierungen ihr Geld klüger ausgeben könnten, wenn es um soziale Ausgleichssysteme geht. So könnten sie beispielsweise, anstatt eine gleichbleibende Rate zu zahlen und die Menschen damit vom Arbeitsmarkt abzuschneiden, einen Betrag in Abhängigkeit der Arbeitslosendauer festsetzen. «Es zeigt sich, dass dieses Vorgehen Anreize setzt, sich frühzeitig umzuschauen», ergänzt er.

Da es weiterhin eine Menge Leute gibt, die früher hochqualifiziert waren und nun aufgrund der technologischen Entwicklungen von der staatlichen Fürsorge leben, hebt Sargent auch die Bedeutung von Umschulungsmassnahmen hervor – egal ob im selben Beruf oder einem anderen.

In jedem Alter anpassungsfähig bleiben

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Wie man in einer sich verändernden Welt flexibel bleibt

Es lässt sich kaum vorhersagen, in welche Richtung sich die Technologie entwickeln wird. Für Sargent ist es daher ganz besonders wichtig, flexibel zu bleiben und ein Leben lang zu lernen, auch im Alter. Für ihn sind Neugier und Begeisterungsfähigkeit die wichtigsten Eigenschaften. Er erklärt, dass er früher sehr gut mit einem alten, mittlerweile ausgemusterten Computer umgehen konnte und dass er Spezialist war für ökonomische Modelle, die heute keiner mehr erwähnt. Aber davon lässt er sich nicht beirren. Trotz seines Alters hat er erst vor kurzem ein paar neue Programmiersprachen gelernt, um weiter agil zu bleiben.

Heute verbringt er einen Teil seiner Zeit in Shenzhen und Peking und sucht nach neuen Wegen, um mithilfe der Statistik mehr über die chinesische Wirtschaft zu erfahren. Er ist gern in China. «Die Chinesen sind erpicht darauf, die neuen technologischen Entwicklungen zu nutzen», sagt er. «Sie bilden dort eine Menge Ingenieure und Wissenschaftler aus und sind äusserst ambitioniert.» Mit seiner anhaltenden Motivation ist er der lebende Beweis für den Wert seiner Argumente.

Warum sollten Länder bessere Wege finden, um zu wachsen?

Hören Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie Länder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen können.

Der Arbeitsmarkt und seine Hindernisse für junge Menschen

Sargent glaubt fest daran, dass jeder auch selbst für seinen Erfolg verantwortlich ist. Dennoch hält er politische Reformen für angebracht. In der Vergangenheit ging er Probleme auf dem Arbeitsmarkt mithilfe von Computermodellen an. Seiner Ansicht wirken sich für junge Menschen vor allem zwei Faktoren ungünstig aus: Kündigungsschutz und Mindestlohn.

Warum fällt Europäern der Eintritt in den Arbeitsmarkt so schwer?

Der Mindestlohn ist wirklich von Nachteil für die jungen Leute, die gerade erst am Beginn ihrer Berufstätigkeit stehen», argumentiert Sargent. Für ihn ist klar, dass man in einem neuen Job eine Menge neuer Kenntnisse und Fähigkeiten erlernt. Zunächst einen niedrigen Lohn zu akzeptieren kann langfristig gesehen der Beginn von etwas Grösserem und Besserem sein. «Hohe Mindestlöhne verhindern das», sagt er. Nach Ansicht des Nobelpreisträgers verringert der Mindestlohn die Flexibilität, die es für eine moderne, lebendige Wirtschaft braucht. «Man muss schnelle Jobwechsel zulassen.

Die Magie der Mathematik

Wenn man mit Sargent spricht, hat man den Eindruck, dass er ein toller Lehrer sein muss. Er kann gut erklären, ohne die Dinge zu kompliziert darzustellen. Er macht von Zeit zu Zeit Witze und er hat eine ruhige, angenehme Art zu reden. An einer Stelle erzählt er uns, wie er davon träumte, seine eigene Highschool zu gründen, die sich komplett von anderen Einrichtungen unterscheiden würde.

«Sie lassen die Studenten viel zu viel arbeiten», so Sargent. «Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde das bei mir jegliches Interesse zunichte machen. Die sollen doch Spass haben. Und damit meine ich nicht mit Drogen oder Alkohol.» Er lacht.

Ich meine damit die Freude an der Physik oder daran, dass man mithilfe einiger kleiner, gar nicht anspruchsvoller mathematischer Gleichungen, die leicht verständlich sind, tatsächlich die Bewegung der Planeten um die Sonne erklären kann. Das ist Magie.

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