Während das 2. Halbjahr 2023 näher rückt, eskomptieren die Märkte eine freundliche zukünftige Entwicklung. Die implizite Aktienvolatilität bewegt sich auf dem tiefsten Stand seit dem Ausbruch der Pandemie und der S&P 500 ist seit seinem Oktober-Tief um 20% gestiegen. Die Ruhe vor dem Sturm? Oder das Ende der schwersten Rezession, die niemals stattfand?
Damit die Aktienmärkte weiter zulegen können, müssen Anlegerinnen und Anleger unseres Erachtens wenigstens an die drei folgenden Argumente glauben:
- Die US-Notenbank Fed wird – wie vom letzten «Dot Plot» angedeutet – höchstens zwei weitere Zinserhöhungen beschliessen. Aufgrund der Herausforderungen für US-Regionalbanken und der niedrigeren Gesamt- und Kerninflation ist der Markt nun stärker davon überzeugt, dass sich die Fed dem Ende ihres Zinserhöhungszyklus nähert. Weiteren Schub könnte diese Überzeugung nur erhalten, wenn die disinflationären Kräfte stärker werden oder wenn die Anleger daran glauben, dass es die Fed aus politischen Erwägungen heraus zulässt, dass die Inflation längere Zeit über ihrer Zielvorgabe liegt.
- Die häufig vorausgesagte US-Rezession fällt aus. Das Wirtschaftswachstum und die Unternehmensgewinne sind bislang robuster als erwartet, weil der Rückgang der überhöhten Ersparnisse, die robusten Anlagenkurse und der starke Arbeitsmarkt die Konsumausgaben stützen. Die zuversichtliche Einschätzung, dass eine Rezession vermeidbar ist, könnte untermauert werden, falls sich das Wachstum der Realeinkommen zusätzlich verbessert, die Unternehmen beginnen, ihre Lagerbestände wieder aufzufüllen und der Arbeitsmarkt robust bleibt.
- Die Rally im Bereich künstliche Intelligenz (KI) ist gerechtfertigt und die Kombination aus Begeisterung und Angst, etwas zu verpassen, hält sie weiter in Gang. Die «sieben grössten Gewinner» unter den extrem hoch kapitalisierten US-Wachstumswerten – Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Meta, Tesla und Alphabet – sind in diesem Jahr um durchschnittlich 86% gestiegen. Grund dafür war die optimistische Beurteilung der Auswirkungen von KI auf die langfristigen Perspektiven dieser Unternehmen. Allein diese sieben Aktien sind für 80% der Gewinne im S&P 500 seit Jahresbeginn verantwortlich. Ein positiver Ausblick für den Markt hängt also auch davon ab, ob diese Aktien ihre Gewinne bewahren oder ausbauen können.
Jedes dieser Argumente hat für sich genommen seine Berechtigung. Die Fed hat zwar angedeutet, dass sie beabsichtigt, die Zinserhöhungen fortzusetzen. Aber die Bestätigung, dass die Pause eher ein «Verzicht» war, offenbart die tiefen Gräben innerhalb des Ausschusses, die überbrückt werden mussten, um einen Konsens über zukünftige Zinserhöhungen zu erzielen. Darüber hinaus glauben wir, dass es schwieriger wird, die Zinserhöhungen wieder aufzunehmen, vor allem wenn der US-Präsidentschaftswahlkampf näher rückt. Die Konsumdaten werden in den nächsten Monaten unseres Erachtens erneut positiv überraschen (auch wenn das Wirtschaftswachstum insgesamt weiter nachlässt). Vorhersagen zu kurzfristigen Bewegungen bei KI-Aktien sind zwar spekulativ, wir glauben aber, dass diese Technologie auf lange Sicht eine transformative Wirkung haben wird.
Doch diese Argumente können nicht friedlich nebeneinander bestehen. Falls zum Beispiel die Konsumausgaben, der Arbeitsmarkt oder der Aktienmarkt «zu robust» sind, könnte unter den Anlegern die Sorge zunehmen, dass die Fed die Zinsen weiter erhöhen muss. Angst vor höheren Zinsen, einige wenige enttäuschende Konjunkturzahlen oder ein Stimmungsumschwung an den Aktienmärkten wiederum könnte den Optimismus in Bezug auf KI oder die Robustheit des Konsums beschädigen. Damit dieses positive Gesamtkonstrukt nicht zusammenbricht, ist eine «makellose Disinflation» daher fast eine Voraussetzung.
Die Anleger stehen vor einem Drahtseilakt. Aktien können weiter steigen, doch das wird schwierig. Nach dem kräftigen Anstieg ist das Aufwärtspotenzial für Aktien nun begrenzt. Und die zunehmend optimistische Stimmung an den Aktienmärkten spricht dagegen, dem Anstieg des S&P 500 nachzujagen.
Daher bevorzugen wir nach wie vor Anleihen gegenüber Aktien und haben eine Vorliebe für hochwertige Anleihen. In thematischer Hinsicht konzentrieren wir uns darauf, Erträge zu erzielen (zum Beispiel mit hochwertigen Dividendenaktien über traditionelle und nachhaltige Strategien), günstigere Marktbereiche zu identifizieren, die während der Rally zurückgeblieben sind (wie die Schwellenländer, defensive Bereiche und Substanzwerte), und stabilere diversifizierte Portfolios mit alternativen Anlagen aufzubauen.
Mehr hierüber erfahren Sie in unserem aktuellen Monthly Letter « Drahtseilakt» und in unserem kürzlich publizierten Ausblick auf das 2. Halbjahr. Ein kurzes Video zu den wichtigsten Themen finden Sie hier.