Was ist geschehen?
Der S&P 500 fiel am Mittwoch um 2,1% und musste einen Teil der Gewinne aus einer dreitägigen Rally wieder abgeben, in deren Rahmen der Index um 2,8% gestiegen war. Nach den Zwischenwahlen in den USA hängt die Kontrolle über den US-Kongress in der Schwebe. Bisher zeigen die Ergebnisse nur leichte Gewinne für die Republikanische Partei, während sich die Demokraten besser gehalten haben als erwartet.
Im Zuge der allgemeinen Risikoaversion gerieten alle Sektoren im S&P 500 unter Druck. Energie-, IT- und Nicht-Basiskonsumgüter-Aktien erlitten die grössten Verluste. Defensive Sektoren wie das Gesundheitswesen und Versorger verzeichneten die geringsten Einbussen.
Schwächere Ölpreise belasteten Energieaktien. Der Preis für Brent-Rohöl fiel um 3% auf USD 92.6 je Barrel, womit sich das Minus in dieser Woche auf 6 % summiert. Auslöser für die Bewegung war der Anstieg der Lagerbestände von Rohöl in den USA und die Besorgnis, dass die steigende Zahl der Covid-19-Fälle in China die Ölnachfrage beeinträchtigen könnte.
Die Renditen von US-Treasuries fielen. Die 10-jährige Rendite sank um 3 Basispunkte auf 4,1%, die 2-jährige Rendite um 3 Basispunkte auf 4,64%. Der US-Dollar-Index DXY zog um 0,8% an.
In anderen Bereichen war die Stimmung ebenfalls negativ: Bitcoin sackte nach einer Liquiditätsverknappung an der Kryptobörse FTX um 15% auf USD 16 000 ab. Angesichts von Insolvenzgerüchten und einem massiven Kapitalabzug der Nutzer hatte die Börse einem Notverkauf ihres Geschäfts ausserhalb der USA an den Konkurrenten Binance zugestimmt. Am Mittwoch nahm Binance aber wieder Abstand von der Übernahme,
Was erwarten wir?
Die risikoaverse Bewegung der Märkte am Mittwoch war vermutlich auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen. Die bisherigen Ergebnisse der Zwischenwahlen in den USA deuten darauf hin, dass die erwartete «rote Welle» – ein klarer Sieg der Republikaner – nicht eingetreten ist. Stattdessen kommt auf die Anlegerinnen und Anleger eine Zeit der Unsicherheit zu. Derzeit sieht es so aus, als würden die Republikaner mit einer bescheidenen Mehrheit die Kontrolle über das Repräsentantenhaus übernehmen. Doch die Kontrolle über den Senat steht immer noch auf Messers Schneide. Wer für Georgia in den Senat einzieht, wird sich erst bei der Stichwahl am 6. Dezember entscheiden.
Seit 1982 ist der S&P 500 in den zwölf Monaten nach allen zehn Zwischenwahlen in dieser Zeit durchschnittlich um etwa 13,5% gestiegen. Nun könnte dieser Trend unterbrochen werden, da die Märkte unter zahlreichen Negativfaktoren leiden, darunter die hartnäckig hohe Inflation, die aggressiven Zinserhöhungen der Zentralbanken und die erhöhten geopolitischen Spannungen.
Die Inflationsängste könnten am Mittwoch zum Abverkauf beigetragen haben, da einige Anleger möglicherweise versucht haben, ihr Risiko vor der wichtigen Bekanntgabe des US-Konsumentenpreisindex am Donnerstag zu reduzieren. Während die Anleger auf eine Verlangsamung der Inflation hoffen, weisen wir darauf hin, dass der NOWcast der Cleveland Fed eine Gesamtinflationsrate von 0,8% zum Vormonat im Oktober signalisiert. Das wäre zu hoch, um die US-Notenbank Fed nennenswert zu beruhigen.
Der steile Kurseinbruch von Kryptowährungen könnte die Stimmung gegenüber spekulativeren Vermögenswerten untergraben haben, da die Finanzierungsbedingungen restriktiver werden. Abgesehen von einem Ausschlag zu Beginn der Pandemie zeigt der National Financial Conditions Index der Chicago Fed die restriktivste Lage seit der globalen Finanzkrise an.
Die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung zeigen sich auch bei der Kreditvergabe. Die in dieser Woche veröffentlichte Umfrage der Fed unter leitenden Kreditvermittlern für den November ergab, dass 39% der Banken ihre Standards für die Kreditvergabe an Gewerbe- und Industrieunternehmen verschärft haben. Obwohl der Grossteil der Kredite inzwischen nicht mehr von Banken vergeben wird, waren die Trends der Kreditvergabestandards in der Vergangenheit ein Frühindikator für die Unternehmensgewinne. Der aktuelle Trend zu restriktiveren Konditionen hat sich im Laufe des letzten Jahres stark beschleunigt. Dies deutet auf einen weiteren Abwärtsdruck auf die Gewinne im S&P 500 in den kommenden Quartalen hin.
Alles in allem sind wir nicht der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine nachhaltige Aktienmarktrally gegeben sind. Die Fed wird die Zinsen – ebenso wie die anderen grossen Zentralbanken – voraussichtlich bis zum 1. Quartal 2023 weiter straffen. Das Wirtschaftswachstum dürfte sich bis zum Beginn des neuen Jahres noch abschwächen. Solange die Geldpolitik weiter gestrafft wird, sind die Finanzmärkte weltweit anfällig für zusätzliche Belastungen. Darüber hinaus sind diese Belastungen in den Gewinnschätzungen oder Aktienbewertungen nach unserem Dafürhalten noch nicht ganz berücksichtigt. Wir rechnen mit einem Rückgang der weltweiten Gewinne je Aktie um 3% im Jahr 2023, während die Bottom-up-Konsenserwartungen ein Wachstum von 5% annehmen.
Wie investieren wir?
Unseres Erachtens erscheint das Risiko-Rendite-Verhältnis der Märkte für die nächsten drei bis sechs Monate negativ. Es ist jedoch durchaus möglich, dass es zu periodischen Erholungen kommt. Daher raten wir zu Strategien, die eine Absicherung gegen Verluste, aber auch eine Partizipation am Aufwärtspotenzial bieten.
Im aktuellen Umfeld raten wir, bei der Aufstockung von Engagements defensive Anlagen zu bevorzugen. Im Aktienbereich finden wir Strategien mit Kapitalschutz, Substanzwerte und hochwertige Ertragstitel interessant. Auf der Sektorebene favorisieren wir das globale Gesundheitswesen sowie den Basiskonsumgüter- und den Energiesektor, während wir Wachstums-, Industrie- und Technologieaktien mit «Least Preferred» einstufen. Aus regionaler Sicht gefallen uns die günstigeren und auf Substanzwerte ausgerichteten Märkte Grossbritanniens und Australiens im Vergleich zum US-Aktienmarkt, der einen höheren Anteil an Technologie- und Wachstumstiteln sowie höhere Bewertungen aufweist.
Im Anleihenbereich bevorzugen wir erstklassige und Investment-Grade-Anleihen gegenüber US-Hochzinsanleihen. An den Devisenmärkten ziehen wir die Zufluchtswährungen US-Dollar und Schweizer Franken dem britischen Pfund und dem Euro vor. Ferner empfehlen wir, mit Hedge Funds unkorrelierte Renditen anzustreben, zum Beispiel über Macro-Strategien, die sich seit Jahresbeginn überdurchschnittlich gut entwickelt haben.
Im Hinblick auf Kryptowährungen warnen wir seit Langem, dass der Handel mit Coins und Tokens zum vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals führen kann. Anleger, die sich für ein langfristiges Engagement in diesem Thema interessieren, können andere Chancen mit Krypto-Bezug in Betracht ziehen, zum Beispiel traditionellere Plattformen und Wegbereiter, die Blockchain-Technologien in bestehende Geschäfte integrieren können.