Jonathan Gregory
Head of Fixed Income UK

Wichtigste Highlights:

  • Angesichts der weit über dem Zielwert liegenden Inflation in den USA sollten die Anleger damit rechnen, dass die aggressive Rhetorik der Fed und weitere Zinserhöhungen noch eine Weile anhalten werden.
  • Bemerkenswerterweise ist die Geldpolitik in der Eurozone in einer Zeit der Schwäche der Gesamtwirtschaft prozyklisch geworden.
  • Ein geringeres Trendwachstum in den Industrieländern, eine hohe Inflation und höhere Renditen könnten heute auf einen tieferen weltlichen Wandel in der Weltwirtschaft hindeuten.

Der sogenannte «Point Nemo» im Südpazifik ist der am weitesten entfernte Punkt auf der Erde vom Festland; die nächstgelegene Landmasse in irgendeiner Richtung ist mindestens 1600 Kilometer entfernt. Sollten Sie zufällig einmal dort sein, werden Ihre nächsten menschlichen Gefährten Astronauten auf der Internationalen Raumstation sein, die rund 400 Kilometer über Ihrem Kopf kreisen. Dennoch empfehle ich die Reise nicht. Seine einzigartige Abgeschiedenheit ist der Grund, warum Raumfahrtagenturen auf der ganzen Welt Point Nemo für den «feurigen Abstieg» überflüssiger Raumschiffe, Satelliten und diverser Weltraumtrümmer anvisieren – in der Annahme, dass dort das Risiko für Menschen sehr gering sein wird. Die NASA-Wissenschaftler, welche diese Flugbahnen zeichnen, beneide ich jedoch nicht. Wenn man als Ausgangspunkt ein Objekt nimmt, welches sich 400 Kilometer über der Erde befindet und sich mit 28 163 Kilometer pro Stunde bewegt, haben selbst kleine Fehlkalkulationen interessante Folgen. Wird alles richtig gemacht, stürzt der rauchende Weltraumschrott harmlos in die Vergessenheit des Pazifischen Ozeans ab. Wenn Sie sich nur um Bruchteile eines Grades irren, wird ein Feuerball in den Rasen des Weissen Hauses stürzen1. Heikel.

Die sogenannte weiche Landung

Wenn man über die Idee von weit entfernten Zielen und die Folgen eines Fehlschusses nachdenkt, kann man leicht auf die Welt der Zentralbanken schliessen. In den USA war der Inflationsbericht vom Mai eindeutig eine schlechte Nachricht für die Fed – und viele Anleger. Da die Inflationsrate nach einem leichten Rückgang im April wieder auf 8,6% anstieg, wurde jede Hoffnung, dass die Preise bereits ihren Höchststand erreicht hätten, zunichte gemacht. Die Fed hat die Zinsen in diesem Jahr bereits um 150 Basispunkte erhöht und wird – wenn der aktuelle Marktpreis stimmt – in den verbleibenden vier Sitzungen bis zum Jahresende um weitere 175 Basispunkte anziehen. Sofern die Inflation nicht bald spürbar sinkt, könnte selbst das nicht ausreichen.

Die Grafik 1 zeigt, dass sich die Steigerungsrate der Güterpreise zwar etwas verlangsamt hat, die Preise für Nahrungsmittel, Energie und – was jetzt besonders wichtig ist – für Dienstleistungen weiterhin steigen. Kurzfristig sind die Aussichten für die Nahrungsmittel- und Energiepreise untrennbar mit dem Verlauf des Krieges in der Ukraine verbunden (und diese Komponenten haben offensichtliche Spillover-Effekte auf die Preise für Dienstleistungen im weiteren Sinne). Wir können nicht mit Sicherheit wissen, wie sich diese Geschichte entwickeln wird, aber es scheint keinen Grund geben zu glauben, dass sich die Situation in absehbarer Zeit beruhigen wird. Da die Fed bereits zu spät auf die steigende Inflation reagiert hat, steht ihre Glaubwürdigkeit ernsthaft auf dem Spiel. Daher sollten die Anleger damit rechnen, dass die aggressive Rhetorik und weitere Zinserhöhungen noch einige Zeit andauern werden.

Grafik 1: VPI der USA im Jahresvergleich

Chart: US headline inflation over the past 5 years
Quelle: Bloomberg. Per 31. Mai 2022

Die Grafik 1 zeigt den VPI der USA (Gesamtinflation) gegenüber Vorjahr von Januar 2017 bis Mai 2022. Obwohl sich die Steigerungsrate der Güterpreise tatsächlich etwas verlangsamt hat, nehmen die Nahrungsmittel-, Energie- und Dienstleistungspreise weiter zu, wobei die Gesamtinflationsrate derzeit bei etwa 8,6% liegt.

Allerdings sind die Risiken für die Gesamtwirtschaft in der Tat sehr hoch. Viele der Faktoren, welche die Preise heutzutage in die Höhe treiben, sind sogenannte angebotsseitige Faktoren, auf welche die Fed keinen Einfluss hat und die von der Geldpolitik überhaupt nicht beeinflusst werden (die Zinserhöhungen der Fed ändern den Verlauf des Krieges in der Ukraine leider nicht). Höhere Zinssätze sollen die Ausgaben der privaten Haushalte drücken und die Nachfrage des Privatsektors weiter senken. Die Fed glaubt, dass sie dies erreichen kann, ohne eine Rezession auszulösen – die sogenannte weiche Landung («soft landing») (oder «softish», wie Jay Powell kürzlich sagte; wobei diese Bezeichnung bereits viel über deren Vertrauen aussagt).2

Die Entscheidung über die Landung steht noch aus, aber die Vorzeichen stehen nicht gut. Die Grafik 2 zeigt, dass das Wachstum in den USA bereits im ersten Quartal dieses Jahres negativ war – und obwohl einige technische Faktoren dahinterstecken könnten, ist das Wachstum in den USA bereits im dritten Quartal des vergangenen Jahres auf das Niveau vor der Pandemie von rund 2% zurückgefallen. Dies stellt einen ziemlich ungewöhnlichen Hintergrund für diesen Straffungszyklus dar; das typische Strategiebuch der Zentralbanken sieht vor, dass eine hohe Inflation mit einem über dem Trend liegenden Wachstum einhergeht, nicht mit einem Trendwachstum – oder einem negativen. Und das verfügbare Realeinkommen der privaten Haushalte steht aufgrund der höheren Inflation bereits unter Druck, was die Ausgaben einschränken wird, noch bevor wir die Auswirkungen von Zinserhöhungen berücksichtigen. In unserem Juni-Investmentforum haben wir all diese komplexen Wechselwirkungen abgewogen. Für unsere globalen Portfolios war unsere Schlussfolgerung, bei einer kurzen US-Duration zu bleiben (d.h. uns für höhere Renditen, sinkende Preise zu positionieren). Kurz gesagt, während die US-Inflation bisher weit über dem Ziel liegt, glauben wir, dass die Fed gezwungen sein wird, die Leitzinsen weiter anzuheben. Und solange die Fed die Zinsen erhöht, werden die Anleiherenditen wahrscheinlich folgen.

Grafik 2: Veränderung des BIP in den USA gegenüber dem Vorquartal

Chart: US GDP change quarter on quarter over the past 7 years
Quelle: Bloomberg. Per 31. Mai 2022

Die Grafik 2 zeigt die Veränderung des BIP der USA gegenüber dem Vorquartal seit März 2015. Das Wachstum in den USA ist bereits im ersten Quartal dieses Jahres ins Negative getaucht.

Momentan ist die Entwicklung der Inflation am wichtigsten und nicht jene des Wachstums. Während also einige die jüngste Verlangsamung des BIP-Wachstums, die schwachen Aktienmärkte und einige andere Indikatoren, die typischerweise auf eine sich abzeichnende Rezession hindeuten, betrachten mögen, werden diese für sich genommen nicht ausreichen, um die Fed vom Handeln abzuhalten. Bei einer Gesamtinflationsrate in den USA von 8,6% und einer steigenden Inflation werden wir unsere Position wohl erst dann ändern, wenn wir davon überzeugt sind, dass die Fed die Inflationsentwicklung dauerhaft in Richtung des Zielwerts zurückverlagert hat.

Eine instabile Entwicklung in Europa

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht vor einem schrecklichen Dilemma. Die VPI-Gesamtinflation im Euroraum erreichte kürzlich 8% und das Preiswachstum wird aufgrund der starken Abhängigkeit der Eurozone von russischen Gas- und Ölimporten vor allem durch die Energiepreise bestimmt. Die Inflation im Dienstleistungssektor liegt jedoch wesentlich niedriger als in den USA (siehe Grafik 3) und scheint weniger problematisch zu sein, während die Arbeitslosigkeit zwar rückläufig ist, aber immer noch fast 7% beträgt. Trotzdem war die EZB aufgrund der derzeitigen hohen Inflation gezwungen, sich auf der Juni-Sitzung zu einem viel aggressiveren geldpolitischen Kurs zu bekennen, und zwar in einem Ausmass, dass die Märkte bis zum Jahresende Zinserhöhungen von nahezu 1,75% einpreisen. Angesichts der Tatsache, dass die Leitzinsen seit 2014 negativ sind, ist dies eine erstaunliche Wende. Aber auch hier fällt auf, wie sehr die Geldpolitik, etwa in den USA, in einer Zeit scheinbarer Schwäche der Gesamtwirtschaft sehr prozyklisch und straff geworden ist – das ist höchst ungewöhnlich.

Grafik 3: VPI der Eurozone im Jahresvergleich

Chart: Eurozone headline inflation year-on-year over the past 5 years
Quelle: Bloomberg. Per 31. Mai 2022

Die Grafik 3 zeigt den VPI (Gesamtinflation) der Eurozone im Jahresvergleich auf seinem höchsten Niveau seit Januar 2017.

Ein tiefgreifender, weltlicher Wandel?

Vielleicht deutet all dies auf einen tiefgreifenden weltlichen Wandel hin. Vor einigen Jahren beschrieb Mervyn King – ehemaliger Gouverneur der Bank of England – die Zeit seit den frühen 1990er-Jahren als NICE – «Non-Inflationary Consistently Expansionary» (Nicht-Inflationär Konstant Expansiv). Man könnte sagen, auf die eine oder andere Weise blieb die Welt für ziemlich lange Zeit NICE; niedrige und stabile Inflation, die meiste Zeit sinkende Arbeitslosigkeit (die seltsame Finanzkrise und globale Pandemie hin oder her – nun, dieser Weltraumschrott plumpst eben nicht immer harmlos in den Ozean3) und starke Finanzmärkte.

Aber die NICE-Party könnte nun vorbei sein. Seit den 1990er-Jahren zeigt sich, dass das weltweite Wachstum stetig nach unten tendiert. Die Grafik 4 zeigt die Entwicklung der dem Weltwirtschaftsausblick vom April 2022 entnommenen BIP-Wachstumsdaten in den Industrieländern des Internationalen Währungsfonds (IWF) (die Zahlen für 2020 basieren auf aktuellen Daten für 2020 und 2021, mit IWF-Prognose bis 2027) – so wird das BIP-Wachstum, das in den 1980er-Jahren durchschnittlich 3,1% betrug, in diesem Jahrzehnt auf etwa 1,8% geschätzt. Gleichzeitig erleben wir die höchsten Inflationsraten seit 40 Jahren, während die Zentralbanken eher «pro»- statt «anti»-zyklische geldpolitische Manöver durchführen. Geringes Wachstum, hohe Inflation, höhere Erträge.

Grafik 4: Regionales BIP-Wachstum

Chart: Regional GDP Growth across advanced economies over the past four decades
Quelle: Internationaler Währungsfonds, World Economic Outlook Database, April 2022

Die Grafik 4 zeigt die Entwicklung der dem Weltwirtschaftsausblick vom April 2022 entnommenen BIP-Wachstumsdaten in den Industrieländern des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das BIP-Wachstum, das in den 80er-Jahren durchschnittlich 3,1% betrug, wird nun für dieses Jahrzehnt auf etwa 1,8% prognostiziert.


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